Schweizer Revue 2/2018
16 Schweizer Revue / März 2018 / Nr.2 Wirtschaft ANDREAS SCHWANDER Fast alles, was Esoro in Fällanden macht, ist geheim – und das Jahrzehnte lang. Deshalb ist auch fast alles unsichtbar. Sichtbar wird die Firma nur selten, etwa wenn ein von Esoro gebauter Anhängerzug in der RegionAargau Filialen des Grossverteilers Coop mit Frischwaren beliefert. Der Lastwagen ist der erste seiner Art in der Schweiz. Er fährt mitWasserstoff aus einemAargauerWasserkraftwerk. Eine Brennstoffzelle als bordeigenes Kraftwerk erzeugt konti- nuierlich Stromund lädt eine Batterie. Die Energie zumBe- schleunigen kommt aus der Batterie, die aber viel kleiner ist als in einemElektroauto. Der Lastwagen fährt abgasfrei und benötigt keine langen Ladezeiten. Dies ist eine der Grundvoraussetzungen dafür, dass alternative Antriebe für Lastwagenflotten in Betracht gezogen werden. Letzten Sommer erhielt der Anhängerzug die Zulassung des Zür- cher Strassenverkehrsamts. Jahrzehntelange Tüftelei «Wir sind dabei, wenn es anspruchsvoll, komplex und be- reichsübergreifendwird», erzählt der CEOvonEsoro, Diego Jaggi. Er ist schon sehr lange im Geschäft mit Utopien auf Rädern. Angefangen hat es mit der «Tour-de-Sol», dem le- gendären Solarmobil-Rennen durch die Schweiz in den 1980er-Jahren, ab 1990 wurde eine Firma draus. Esoro ist damit Teil der grossen, aber weitgehend unbekannten Schweizer Automobilindustrie, die mit 34000 Mitarbei- tern einen Umsatz von 16 Milliarden Franken jährlich macht. «Wirmüssen uns in dieser Branche behaupten», sagt Diego Jaggi, «trotz unserer massiven Nachteile in der Schweiz.» Das sind der hohe Frankenkurs und der Zoll, beides Faktoren, welche alles verteuern und verkompli zieren. Und es sei eine Kunst, für ein neues Fahrzeug die nötigen Papiere zu erhalten. Jaggi rechnet, dass allein der administrative Aufwand für die Strassenzulassung rund 20 Prozent der Kosten für Bau und Entwicklung des Brenn- stoffzellen-Lastwagens verschlingt, vorausgesetzt, manhat das alles schon einmal gemacht. Sonst sind es 200 Prozent. Um schliesslich mit der begehrten weissen Nummer fahren zu können, ist Esoro auch auf den Goodwill der Strassenverkehrsämter angewiesen. Denn der Aufwand für ein einziges Fahrzeug ist auch für sie gross. Für die Behörde wäre es deshalb viel einfacher, irgendein kleines Detail zu finden, das nicht konform ist und die Zulassung zu verwei- gern. Im Zürcher Strassenverkehrsamt machte man sich aber diese Mühe. Die Experten lasen sich in die Thematik ein und arbeiteten konstruktiv mit. 19 Tonnen erlaubt Der Esoro-Lastwagen ist der erste in der Schweiz, der nach den Vorgaben für abgasfreie Nutzfahrzeuge zertifiziert wurde. In der Schweiz dürfen Lastwagen 18 Tonnen schwer sein, in der EU 19 Tonnen. Die Schweiz erlaubt nun Fahr- zeugen mit alternativen Antrieben ebenfalls ein Gesamt- gewicht von 19 Tonnen. Für eine Serienfertigung müsste allerdings noch vieles an die Bedürfnisse der Massenpro- duktion angepasst werden. Esoro ist es dabei wichtig, dass diese Einzelstücke äusserlich perfekt daherkommen. Schon bei der Präsenta- tion eines ersten Wasserstoffautos vor vielen Jahren am Genfer Automobilsalon soll ein hoher VW-Manager Diego Jaggi gesagt haben: «Der Lack steht.» Imdeutschen Autojar- gon heisst das so viel wie «perfekt». Der Lack steht unter- dessen auch bei den Rinspeed-Prototypen, die Esoro regel- mässig für denZürcher Unternehmer FrankRinderknecht baut. Ob schwimmend, schwebend oder tauchend, sie kom- men immer aus den geheimen Hallen in Fällanden. Diese Rinspeed-Fahrzeuge mögen abwegig aussehen, viele der Ideen tauchen aber später in Serienautos wieder auf. Denn Esoro arbeitet immer an der übernächsten oder überüber- nächsten Automobilgeneration, in der sogenannten Vor- entwicklung. Da sind Ideen und Gedanken noch frei. ANDREAS SCHWANDER IST FREIER JOURNALIST UND CONSULTANT IN BASEL Die geheime Ideenfabrik Bei Esoro entstehen die Autos von übermorgen – und ein Wasserstoff-Lastwagen. Der abgasfreie Lastwagen des Schweizer Herstel- lers Esoro beliefert Coop-Filialen mit Frischprodukten. Foto Keystone
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