Schweizer Revue 2/2018
17 Schweizer Revue / März 2018 / Nr.2 Literaturserie Seit der Heimkehr aus Asien fand Morgenthaler keine Bleibe und keine Ruhemehr. Als Tuberkulosepatient lebte er in Arosa und Davos, dann wieder in Ascona, wo wie durch ein Wunder der heitere Roman «Woly, Sommer im Süden» entstand, in der Berner Heilanstalt Waldau (aus Eifersucht war er fast zum Mörder geworden), in einer psychiatrischen Klinik in Mendriso und 1927 schliesslich in Bern, wo sich die ZahnärztinMarguerite Schmid seiner annahmund sein Leben in halbwegs ruhige Bahnen zu len- ken vermochte. Vom Expressionismus der Asien-Romane und dem Humor von «Woly» fand er zuletzt zur tragisch absurden Lapidarität seiner Ge- dichte, deren letztes und erschüt- terndstes lautet: «Lieber Gott, / schlag mich tot. / Nimm von mir dies wüste Leben. / Dannwerd ich Dir ein Müntschi geben.» CHARLES LINSMAYER Als eine «harmlose Sphäremittelschweizerischer Kartoffel äcker» bezeichneteHans «Hamo»Morgenthaler die Gegend von Burgdorf, wo er am 4. Juni 1890 zur Welt gekommen war. Frühmutterlos und unglücklich, studierte er Botanik, Zoologie und Geologie, war aber von Anfang an getrieben vom unbändigen Willen, «schön und gefährlich» zu leben. Wie der literarische Erstling «Ihr Berge» von 1916 dokumen- tiert, gab er demDrang zunächst als Bergsteiger nach, trieb es aber so wild, dass ihm 1911 auf dem Tödi fast alle Finger abfroren. 1920 dann sollte er aus Protest gegen den Massentou- rismus seine Bergsteigerausrüstung in eine Gletscherspalte werfen. Vorher aber gab er einer anderen Sehnsucht nach: der nach dem Abenteuer im asiatischen Dschungel. «Tage im Paradies» in einer neu gefundenen «Urheimat» wurden es für ihn, als er von 1917 bis 1920 für eine Firma immalay- ischen Urwald nach Zinn und Gold suchte und da «das Nachtlied des Urwalds» und «all die braunen Frauenwun- der» erlebte. Mit fatalen Folgen allerdings: Bis zuletzt sollte er unter einer nie ärztlich nachgewiesenen Syphilis leiden, und die Malaria, die er in die Schweiz mitbrachte, ging nahtlos in die Tuberkulose über, an der er 1928 mit 38 Jah- ren starb. Sinnlich verführerisch Zweimal hatte er zuvor sein asiatisches Sehnsuchtsland ro- manhaft evoziert: euphorisch und sinnlich-verführerisch 1920 in «Matahari. Stimmungsbilder aus den malayisch-si- amesischen Tropen», einemBuch, das HermannHesse und Emmy Hennings begeisterte, skeptisch-kritisch und so, dass einem der Dschungel als Hölle erscheint, in «Gadscha Puti. EinMinenabenteuer», das Orell Füssli zumLeidwesen des an chronischemGeldmangel leidenden Autors zurück- wies und das erst 1929, nach seinem Tod, im FranckeVer- lag herauskam. Posthum erschien auch «In der Stadt. Die Beichte des Karl von Allmen», ein dunkel-unheimliches Buch über die Stadt als ungehemmte Hure der menschli- chen Triebe und Abgründe, welcher der einsame Nacht- schwärmer von Allmen in einer Art «Stadtwahnsinn» ver- fallen ist. Der asiatische Dschungel als Paradies und Hölle Der «arme Dichter» Hamo Morgenthaler erlebte seine schönste Zeit im Urwald Südostasiens und kam im Guten wie im Bösen nie wieder davon los. «Mir scheint jetzt, ich wusste schon, als ich den im Herbst- schnee prangenden Bergen mein Lebetwohl zurief, dass meine Abreise nicht ein Scheiden und Untreuwerden bedeutete, dass ich nicht fortging, sondern heimkehrte, in die Urheimat zurück, in eine mir zwar voll- ständig neue Welt, aber doch eine Welt alten Erlebens und unverdorbener Ursprünglichkeit.» (Aus «Matahari. Stimmungsbil- der aus dem malayisch-siamesi- schen Dschungel», Zürich, 1920, vergriffen.) BIBLIOGRAFIE: Greifbar sind: «Dichtermisere. Ein Hans-Morgenthaler-Brevier», heraus gegeben von Georges Ammann bei Orte, und «Hamo, der letzte fromme Europäer» und «Der kuriose Dichter Hans Morgenthaler». Briefwechsel mit Ernst Morgenthaler und Hermann Hesse, beides herausgegeben von Roger Perret, im Lenos-Verlag. CHARLES LINSMAYER IST LITERATURWISSEN- SCHAFTLER UND JOURNALIST IN ZÜRICH
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