Schweizer Revue 2/2018
8 Rubrik Schweizer Revue / März 2018 / Nr.2 Schwerpunkt nicht primär der Lebensmittelindustrie zuordnet, sondern sich als Expeditionsleiterin imReich des Geschmacks sieht. Otz: «Uns interessiert das Vermitteln von Erlebnis. Inspi- riert gemachtes Bier ist ein kulinarisches Erlebnis.» Platz für Kompromisse gebe es dabei nicht: «Wir haben schon ganze Batchesweggeschüttet, weil wir nicht erreichten, was wir uns vorstellten.» Undwenns perfekt gelingt, sei das kein Grund, die Suche nach Neuem einzustellen: «Wir machen Biere für eine Saison. Dann ist es vorbei.» Von lokal zu global Der Rockstar der «Neuen Schweizer Biergeschichte» ist zweifellos der alles andere als introvertierte Jérôme Rebe- tez aus Saignelégier. Als 23-jähriger Önologe schuf er 1997 eine der ersten Kleinbrauereien, die Brasserie des Fran- ches-Montagnes (BFM). Heute ist BFM ein Riese unter den Zwergen. Aber Rebetez braut heute kein bisschen zahmer als damals ein jurassisches Gesamtkunstwerk aus Lebens- lust, Kunst, Konzertbetrieb und Bieren mit Kanten und Konturen, die nur eines nicht sein dürfen: beliebig. BFM exportiert inzwischen einen Viertel seiner Pro- duktion ins Ausland. Die New York Times adelte 2009 sein Bier namens «Abbey de Saint Bon-Chien» als das vielleicht weltbeste Bier. Damit hatte Rebetez eines seiner grossen Ziele erreicht. Angetreten war er nämlich mit dem An- spruch, «ein artisanales, untypisches, eigensinniges Bier zu kreieren, ein Bier mit einem ausgesprochen komplexen Bouquet, welches reich im Gaumen ist und sich mühelos mit den edelsten Weinen messen kann». Das in Eichen fässern gereifte «Abbey de Saint Bon-Chien» spricht diese Sprache. Ein weiteres Produkt des aktuellen Booms: die Biere der Brauerei Nr. 523. Das Ende des Bierkartells Die Vielfalt auf dem Schweizer Biermarkt ist auf den Zusammenbruch des Schweizer Bierkartells zurückzuführen. Dieses wurde von einheimischen Brauereien 1935 gegründet: Man legte Verteilungsgebiete fest, beschränk te das Angebot auf wenige Biertypen und wehrte Importe ausländischer Biere ab. Nach dem Austritt von drei grossen Brauereien zerbrach das Kartell 1991. Das Kartell hatte auch zur Folge, dass dem Schweizer Bier die Aura des Gewöhnlichen anhaftete. Nach 1991 war der Markt deshalb offen für Neues: Ausländische Biere eroberten rasch wachsende Markt anteile und die Zahl der einheimischen Brauereien verdreissigfachte sich zwischen 1991 und heute. Der Alkoholkonsum sinkt Die Zahl der Brauereien steigt. Aber der Bierkonsum sinkt in der Schweiz stetig. Er lag 1990 bei rund 70 Liter pro Einwohner und Jahr. Heute sind es noch gut 54 Liter. Als Ursache für den Rückgang gilt einerseits die 2005 gesenkte Grenze der Blutalkoholwerte für das Autofahren von 0,8 auf 0,5 Promille. Zudem ist ein genereller gesellschaftlicher Wandel feststellbar: Alkohol an der Arbeitsstätte ist heute tabu, das Gesundheits bewusstsein generell grösser. Zudem treibt der Boom der Kleinbrauereien den Konsum nicht hoch, weil sie ihre Biere als exklusive – und teure – Genussmittel verstehen. Sie kosten rasch einmal 5, 10 oder auch mal über 20 Franken pro Flasche. Quelle: Eidgenössische Zollverwaltung Bierkonsum in der Schweiz, 1990–2017 1995 2000 2005 2010 2015 70 60 50 40 30 20 10 Liter pro Kopf 2017 54.5 Anzahl Schweizer Brauereien, 1940–2017 1940 1950 1960 1970 1980 1990 2000 2010 2020 800 700 600 500 400 300 200 100 1991 Ende Bierkartell 32 Brauereien Registrierte Brauereien
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