Schweizer Revue 4/2018

11 Schweizer Revue / Juli 2018 / Nr.4 JÜRG MÜLLER Landwirtschaftspolitik gehört zu den umstrittensten und emotionalsten Bereichen der schweizerischen Politik. Bäuerliche Anliegen und gesamtwirt­ schaftliche Interessen prallen nicht selten unversöhnlich aufeinander. Nun bereichern auch noch zwei Volks­ initiativen aus dem linken und ökolo­ gischen Spektrum die ohnehin schon reich befrachtete Debatte um die Zu­ kunft der schweizerischen Landwirt­ schaft. Sie kommen beide am 23. Sep­ tember 2018 vors Volk. Ein Jahr zuvor, am 24. September 2017, hat das Volk mit fast 79 Prozent Jastimmen den Gegenvorschlag einer Volksinitiative des Bauernverbandes angenommen. Seit damals stehen die Grundsätze für die Ernährungssicher­ heit in der Bundesverfassung. Die Hauptpunkte: Sicherung der Pro­ duktionsgrundlagen, besonders des Kulturlandes, eine dem Standort an­ gepasste und ressourceneffiziente Le­ bensmittelproduktion sowie eine auf den Markt ausgerichtete Land- und Ernährungswirtschaft. Weiter wird der Verschwendung von Lebensmit­ teln der Riegel geschoben. Bereits die damalige Vorlage enthielt Anliegen aus beiden nun zur Diskussion stehen­ den Initiativen – Fair Food und Ernäh­ rungssouveränität. Es gab gewisser­ massen eine gemeinsame Schnitt­ menge der drei Initiativen. Appelle, die beiden noch hängigen Initiativen seiennun zurückzuziehen, fruchteten nichts. «Gesund, fair und umweltfreundlich» Mit der Volksinitiative «Für gesunde sowie umweltfreundlich und fair her­ gestellte Lebensmittel» (Fair-Food­ Initiative) fordern die Grünen ökologi­ sche und soziale Standards für Importprodukte. Denn, so argumen­ tieren die Initianten, die hohen Tier­ schutzanforderungen in der Schweiz verhinderten nicht, dass durch Im­ porte Fleisch und Eier aus Massentier­ haltung indenVerkaufsregalen landen. Selbst in Europa seien «skandalöse Ar­ beitsbedingungen»weit verbreitet. Die industrielle Landwirtschaft drücke durch die Handelsliberalisierungwelt­ weit auf die Preise, was mit fairen Löh­ nen nur schwer vereinbar sei. Die Initiative fordert deshalb, dass der Bund die Rahmenbedingungen für Lebensmittel von guter Qualität verstärkt. So soll etwa sichergestellt werden, dass diese umwelt- und res­ sourcenschonend, tierfreundlich und unter fairenArbeitsbedingungen pro­ duziert werden. Importierte landwirt­ schaftliche Erzeugnisse müssten die­ sen Anforderungen genügen. Der Bund soll eingeführte Erzeugnisse aus fairem Handel begünstigen. Er soll Vorschriften zur Zulassung von Lebens- und Futtermitteln und zur Deklaration von deren Produktions- und Verarbeitungsweise erlassen. Dazu könnte der Bund auch Einfuhr­ zölle anheben. Ferner sollen die Ver­ arbeitung und die Vermarktung re­ gional und saisonal produzierter Lebensmittel gefördert und die Lebensmittelverschwendung einge­ dämmt werden. Wie so häufig, unterstützt der Bun­ desrat diese Anliegen «grundsätzlich». Aber beim Vollzug sieht die Landesre­ gierung dann vor allem Probleme. Es bräuchte neue, aufwändige und teure Kontrollen, wenn überprüft werden müsste, ob importierte landwirt­ schaftliche Produkte tatsächlich den Anforderungen der Initiative entspre­ chen. Zudem käme es zu handelspoli­ tischenKonflikten. Das Volksbegehren sei schlicht unvereinbar mit den Ver­ Ökologisch und sozial oder teuer und gefährlich? Genau ein Jahr nach der Volksabstimmung über Ernährungssicherheit geht es am 23. September 2018 erneut um Lebensmittel. Gleich zwei Volksinitiativen zur Lebensmittelproduktion kommen zur Abstimmung. Landwirtschaft im Fokus: Kartoffelernte im freiburgischen Kerzers. Bild Keystone

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