Schweizer Revue 4/2018

12 Schweizer Revue / Juli 2018 / Nr.4 Politik pflichtungen der Schweiz gegenüber der Welthandelsorganisation (WTO), der EU sowie mit Staaten, mit denen Freihandelsabkommen bestehen. SP-Gegenvorschlag chancenlos ImParlament siehtman dasmehrheit­ lich so wie der Bundesrat. Kommis­ sionssprecher Hansjörg Walter, SVP­ Nationalrat aus dem Thurgau, be­ zeichnet die Initiative ebenfallswegen des internationalen Handelsrechts und wegen der ausufernden Kontrol­ len als nicht praktikabel. Für den Ber­ ner BDP-Nationalrat Heinz Siegentha­ ler ist die korrekte Produktedeklara­ tion ohnehinwichtiger als Kontrollen. Die Konsumenten könnten schon heute gesunde und fair produzierte Lebensmittel kaufen. Es gehe bei die­ ser Initiative ummehr als nur umdas Essen, findet die Zürcher FDP-Natio­ nalrätin Regine Sauter. Das Volksbe­ gehren könne Arbeitsplätze und die Attraktivität desWirtschaftsstandorts Schweiz gefährden. Der grüne Zür­ cher Nationalrat Bastien Girod sieht einen Systemfehler, wenn im Inland hohe Qualität verlangt werde, bei Im­ porten von Lebensmitteln dagegen darauf verzichtet werde. ImParlament zeigte sich die SP ge­ spalten. Die Luzerner SP-Nationalrä­ tin Prisca Birrer-Heimoz warnte, bei Annahme der Initiative könne der Druck auf die Schweiz steigen, ihre Standards bei Produkten zu senken. Zudem drohe die Gefahr höherer Lebensmittelpreise. Dem hielt die Schaffhauser SP-AbgeordneteMartina Munz entgegen, weltweit gebe es nur vier Länder, die im Verhältnis zur Kaufkraft weniger Geld für Lebens­ mittel ausgeben würden als die Schweiz. Der Basler SP-Vertreter Beat Jans schlug in einem Kompromissan­ trag vor, statt den Import gewisser Produkte zu verbieten, die Einfuhr nachhaltiger Lebensmittel mit tiefe­ ren Zöllen zu begünstigen. Dieser Ge­ genvorschlag hatte im Parlament ebenso wenig eine Chance wie die Volksinitiative selbst. «Dringend nötige Wende in der Agrarpolitik» Auch die zweite Initiative stiess im Parlament auf viel Sympathie, fand aber dann doch kaumUnterstützung. Auslöser der von der Bauerngewerk­ schaft Uniterre eingereichten und von  70Organisationen unterstützten Volksinitiative «Für Ernährungssou­ veränität» ist unter anderem das Unbehagen über den Strukturwandel der Landwirtschaft. «Täglich schlies­ sen zwei bis drei landwirtschaftliche Betriebe ihre Tore. Das bäuerliche Einkommen hat sich in den letzten 30 Jahren um 30 Prozent verringert und über 100000 Arbeitsplätze sind verloren gegangen. Mit der Initiative für Ernährungssouveränität schaffen wir die dringend nötigeWende in der Agrarpolitik», argumentieren die Ini­ tianten. Ziel des Begehrens ist «eine vielfäl­ tige, bäuerliche und gentech-freie Landwirtschaft, welche die natürli­ chenRessourcen schützt.» Die Initian­ ten wollen «faire Preise» und «ein ge­ rechtes Einkommen» für Bäuerinnen und Bauern und landwirtschaftliche Angestellte. Regulierende Zölle sollen einen «gerechten internationalen Handel» ermöglichen. Zudem geht es «um die Stärkung kurzer Kreisläufe und darum, eine regionale Produk­ tion zu ermöglichen und zu beleben». Der Bund solle ausserdem wirksame Massnahmen treffen mit dem Ziel, «die Erhöhung der Zahl der in der Landwirtschaft tätigen Personen und die Strukturvielfalt zu fördern», wie es im Initiativtext heisst. Die Initiative enthalte einerseits Forderungen, die mit der heutigen Landwirtschaftspolitik bereits be­ rücksichtigt würden, anderseits im Widerspruch zur Agrarpolitik des Bundes stünden, befand der Bundes­ rat. Die Landesregierung lehnt «eine stärkere staatliche Strukturlenkung und zusätzliche Markteingriffe» ab. Der Berner SVP-Nationalrat Erich von Siebenthal sieht in dieser Initiative «ein Zeichen aus der Not». Denn die Preise für Landwirtschaftsprodukte seien in den vergangenen Jahren ge­ sunken, der Druck auf die Betriebe nehme zu. Trotzdem: Alle Fraktionen, mit Ausnahme der Grünen, sprachen sich imParlament gegen die Initiative aus. Für FDP-Präsidentin Petra Gössi etwa ist das Begehren schlicht «rück­ wärtsgewandt» und gehe in Richtung Protektionismus und Planwirtschaft. Testlauf für offizielle Landwirtschaftspolitik Vor allem im Nationalrat stand aber weniger die im Parlament ohnehin chancenlose Initiative im Vorder­ grund der Debatte, sondern die Agrar­ politik des Bunderates. Dieser hatte am1. November 2017 kundgetan, dass er in der Landwirtschaftspolitik ab 2022 auf Freihandel zu setzen ge­ denke. Unverständlich seien solche Vorschläge, monierten vor allem Ver­ treter von SVP, CVP und linker Par­ teien. Dies vor allem, weil das Volk kurz zuvor, im September 2017, den bereits erwähntenVerfassungsartikel zur Ernährungssicherheit angenom­ men und damit demonstriert habe, dass es die Landwirtschaft stärken wolle. Obschon ausser den Grünen prak­ tisch alle Parlamentsfraktionen die beiden Volksinitiativen ablehnten: Der Abstimmungskampf wird Gele­ genheit zu einer breiten Debatte über die Landwirtschaft im Allgemeinen bieten. Es wird aber auch ein Stim­ mungstest für die Agrarpolitik des Bundes im Speziellen sein.

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