Schweizer Revue 5/2018

Schweizer Revue / September 2018 / Nr.5 10 Politik Ein Kampf um Landesrecht, Völkerrecht und Menschenrechte Die SVP will den Vorrang des nationalen vor dem internationalen Recht in der Verfassung verankern: Ein Ab- stimmungskampf um ganz Grundsätzliches. Und ein Abstimmungskampf, der mit grosser Härte geführt wird. JÜRG MÜLLER «Landesrecht vor Völkerrecht» und «Schweizer Recht statt fremde Richter»: Diese Forderungen passen perfekt in die Zeiten des global wieder er- starkenden Nationalismus. Es sind einfache Bot- schaftenmit viel Schwarz undWeiss, – ganz ohne Grautöne. Diesem Muster folgt auch die soge- nannte Selbstbestimmungsinitiative (SBI) der SchweizerischenVolkspartei (SVP), über die das Volk am25. November 2018 zu befinden hat. Die Kernforderung lautet: «Die Bundesverfassung steht über dem Völkerrecht und geht ihm vor», ausser einigen zwingenden Bestimmungen, wie etwa dem Folterverbot. Völkerrechtliche Ver- träge, die der Verfassungwidersprechen, müsste die Schweiz neu verhandeln und nötigenfalls kündigen. Für das Bundesgericht sollen zudem nur noch jene Verträgemassgebend sein, die dem Referendum unterstanden. Gemäss SVP sind Selbstbestimmung und Un- abhängigkeit der Schweiz bedroht. Und zwar durch «Politiker, Beamte und Professoren», die wollten, «dass das Schweizer Volknichtmehr das letzteWort hat. Siemöchten die Volksrechte ein- schränken», heisst es im Argumentarium zur In- itiative. Und sie stellten sich mehr und mehr auf den Standpunkt, «dass fremdes Recht, fremde Richter und Gerichte mehr zählen als das von Volk und Ständen bestimmte Schweizer Recht». Die Selbstbestimmungsinitiative sorge dafür, «dass Schweizer Recht unsere oberste Rechts- quelle sein soll» und «dass Volksentscheide ohne WennundAber umgesetztwerdenund zwar egal, ob der Entscheid der ‹Elite› in Bundesbern passt oder nicht». ImÜbrigen, sohält die SVP fest, sorge ihre Initiative für «Rechtssicherheit und Stabili- tät, indem das Verhältnis zwischen Landesrecht und internationalemRecht geklärt wird». Gefahr für Stabilität und Verlässlichkeit Das stimmt eben gerade nicht, finden die Gegner der SBI. Weil die Initiative verlange, dass die Schweiz völkerrechtliche Verträge, die der Verfassung wi- dersprechen, neu verhandelt und nötigenfalls kündigt, «stellt sie die internationalen Verpflichtungen der Schweiz in Frage und gefährdet so die Stabilität und Verlässlichkeit der Schweiz», hält der Bundesrat fest. Die SBI schade damit unter anderem demWirtschaftsstandort Schweiz. «Sie ge- fährdet Rechtssicherheit in den internationalen Handels- beziehungen» und erschwere die Planung für Schweizer Unternehmen. Mit starren Regeln für den Umgang mit allenfalls kol- lidierendem Verfassungs- und Völkerrecht schränke die Initiative denHandlungsspielraumvon Bundesrat und Par- lament ein: Die pragmatische Suche nach breit abgestütz- ten Lösungen, die beidenRechtsbereichen gerecht würden, wäre nichtmehrmöglich. Die Schweiz hätte nur noch zwei Optionen: Anpassung, alsoNeuverhandlung eines Vertrags, oder Kündigung. Völkerrecht als Vertragsrecht Der Gegensatz von Völkerrecht und Schweizer Recht ist ohnehin reichlich konstruiert, denn Völkerrecht ist nicht einfach fremdes Recht, das der Schweiz aufgezwungen wird: Völkerrecht ist zum grössten Teil Vertragsrecht, das zwei Staaten oder Staatengruppen ausgehandelt haben. Völkerrechtliche Verträge durchlaufen in der Schweiz ein demokratisches Verfahren, wie das auch beim Erlass von Landesrecht üblich ist. Heute unterstehen alle wichtigen völkerrechtlichen Verträge dem fakultativen oder sogar dem obligatorischen Referendum. Als besonders heikel beurteilt die Gegnerschaft der SBI – also Bundesrat, Parlamentsmehrheit und praktisch alle Parteien ausser der SVP – die Vorgabe, dass nur jene völker- rechtlichenVerträgemassgebend sein sollen, die einst dem Referendum unterstanden. Damit «hält die Initiative die Behörden an, sich über bestehende vertragliche Verpflich- tungen hinwegzusetzen», hält die Landesregierung fest. Diese Aufforderung zumVertragsbruch könnte die Schweiz massiv schwächen, weil sich dann die Vertragspartner auch nicht mehr an Verträgemit der Schweiz gebunden fühlten. Kathrin Alder, Juristin und Bundesgerichtskorres­ pondentin der «Neuen Zürcher Zeitung», analysiert das «Referendumsproblem» vertieft. Denn die Diskussion um

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