Schweizer Revue 5/2018

Schweizer Revue / September 2018 / Nr.5 15 Die Lektionen beimChurerModell beginnen – ähnlichwie im Kindergarten – oft mit einem kurzen Input im Kreis. Hier wird die Klasse in neue Themen eingeführt, hier wer- den Lernaufgaben präsentiert. Doch der Input wird be- wusst kurz gehalten: Er soll die den Schülerinnen und Schü- lern fürs Lernen zur Verfügung stehende Zeit nicht schmälern, Zeit, die sie sehr selbstständig nutzen dürfen. Wenig erstaunt über die Verbreitung des Churer Modells ist Peter Lienhard, Professor an der Hochschule für Heilpädagogik in Zürich. Das Modell sei die Grundlage für viele wesentliche Entwicklungen in der heutigen Schule. Wesentlich sei etwa, «Schülerinnen und Schüler individuell, ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten entsprechend zu för- dern». Gleichzeitig müsse die heutige Schule auch Kinder mit Lernschwierigkeiten oder Behinderungen integrieren: «Mit dem Churer Modell kann man geschickter und ent- spannter auf diese Herausforderungen reagieren.» Der Erfolg des Churer Modells hat auch damit zu tun, dass sich in der Schweiz das Grundverständnis des Lehrens und Lernens verändert. So geben der neue und für die Deutsch- schweiz geltende Lehrplan 21 sowie derWestschweizer Plan d’études romand nicht nur vor, welche Lerninhalte vermit- telt werden sollen: Viel Gewicht wird auch darauf gelegt, welche Kompetenzen Schülerinnen und Schüler erwerben sollen. Lern- und Problemlösestrategien rücken viel stär- ker in den Fokus des Unterrichts. Mit den neuen Lehrplänenwerde die Schule von heute befähigt, auf die rasanten Veränderungen in der Welt zu reagieren, sagt Matthias Gubler. Er ist Psychologe und Lei- ter des Instituts Unterstrass in Zürich, das Kindergarten- und Primarlehrpersonen ausbildet. Gubler sagt: «Für den Wissenserwerb alleine braucht man heute nicht mehr zur Schule zu gehen, dafür gibt es mittlerweile im Internet ge- nügend Lerntools. In die Schule geht man in Zukunft, um Kompetenzen zu erwerben, dieman später ins Berufsleben übertragen kann und um mit anderen gemeinsam an Themen zu arbeiten.» Ziel sei es, die Schülerinnen und Schüler vonheute auf künftige, noch unbekannte Aufgaben in der Gesellschaftvonmorgen vorzubereiten. «Noch haben wir eine Schule, die für die industrialisierte Gesellschaft des letzten Jahrhunderts geschaffen worden ist», sagt Gub- ler. Doch die Schule werde sich weiter wandeln. Der Lehr- plan 21 unddie Verbreitung neuer Unterrichtsmodelle seien erste Schritte dieses Wandels. Vorfreude – auf die Pause Auch in Zimmer Nr. 204 im Berner Spitalacker-Schulhaus wird sich in den nächsten Jahren vieles verändern. Schon in zwei Jahren steht der nächste grosse Schritt an: Dann werden alle vier- bis achtjährigen Kindergarten- und Primarschulkinder in sogenannten Basisstufenklassen un- terrichtet. Dabei werdenKlassen gebildet, in denenKinder der beiden Kindergartenjahrgänge sowie Erst- und Zweit- klässler gemeinsamzur Schule gehen. Das Spielerische des Kindergartens und das Schulische der ersten Primarschul- jahre gehen so fliessend ineinander über. «Das wird eine Herausforderungwerden, auf diewir uns aber freuen», sagt LehrerinDanielle Baumann. Die UmstellungwirdYael und Emanuel nicht tangieren. Sie werden dann nicht mehr in der Klasse sein. Noch sind sie aber hier und freuen sich jetzt: auf die Pause. MIREILLE GUGGENBÜHLER IST FREIE JOURNALISTIN UND SPEZIALISIERT AUF BILDUNGSFRAGEN Primarschulklassen werden bunter, also altersdurchmischter: In sogenannten Basisstufenklassen werden Vier- bis Achtjährige gemein- sam unterrichtet.

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