Schweizer Revue 6/2018

Schweizer Revue / November 2018 / Nr.6 19 stehen Bibliophile immer noch im Laden. Auch der Umsatzrückgang des Buchhandels schwächte sich jüngst ab. 2018 könnte sogar, je nachWeihnachts­ geschäft, ein kleines Plus resultieren. Diewieder hoffnungsvollere Entwick­ lung ergab sich aber nicht von selbst. Vielen Buchhändlernwurde klar: Um die Leute in die Buchhandlungen zu holen, genügt es nichtmehr, Bücher in Regale zu stellen. Buchhandlungen sind zu Begegnungsorten mit Café, Lounge, Anlässen und Unterstützer­ clubs geworden. Die Sortimente wer­ den sorgfältig gepflegt. «Unsere Aus­ wahl ist handverlesen», sagt Beatrix Stuber, «die Kundschaft schätzt es, sich anregen und beraten zu lassen.» Schon früh reagiert hat die Appen­ zeller Buchhändlerin Carol Forster. «Einschliessen&geniessen» heisst die Aktion, die sie seit neun Jahren mehr­ mals wöchentlich in ihrem «Bücher­ laden» anbietet: Gruppen oder Ein­ zelne können abends die Buchhand­ lung reservieren und im Bestand schmökern. «Wir sind immer ausge­ bucht», sagt Forster. Sie setzt auch auf lokales Einkaufen. Bücher, die viaWeb­ shop bei ihr bestellt werden, liefert sie in Läden des Appenzeller Vorderlands aus. Dort gibt es keine Buchhandlung mehr, dafür führen jetzt der Detail­ händler Volg, die Bäckerei, der Bio­ laden und das Café kleine Büchersta­ tionen. «Dorfläden unterstützen so Dorf­läden», sagt Forster. Und die be­ wusste Konsumentin, der globalisie­ rungsmüdeKonsument, sie könnenzu einem lebendigenWohnort beitragen. Die Haptik eines Buchs Buchverlage erhalten seit zwei Jahren Kulturförderung durch den Bund. Doch auch bei ihnen muss, nein will die Kreativität blühen. «Wir schärfen unser Profil», sagt Matthias Haupt im Sitzungszimmer des Haupt-Verlags im Stadtberner Länggass-Quartier. Er von Prominenten. Und sogar dann, wenn sie gar nie in den Handel kom­ men. BeimKulturprojekt EditionUnik könnenMenschenwie du und ich ihre Lebensgeschichte aufschreiben. Sie werden von einer eigens entwickelten Software durch ein Schreibprogramm geführt und erhalten amSchluss zwei Exemplare eines gedruckten Buchs. «Die Faszination für das Buch ist nach wie vor gross, wenn es darum geht, den eigenen Lebensbericht zu ver­ schenken – an die Kinder, Familie, Freunde», sagt der Initiant und Kul­ turunternehmer Martin Heller. Die Teilnehmenden wüssten, dass sie et­ was Kostbares produziert hätten, «und diese Kostbarkeit kommt für sie in einem eleganten, sinnlichen Buch an­ gemessener zumAusdruck als in einer kalten Datei». Das gedruckte Buch, es lebt. Und das dürfte mehr sein als einfach ein Retro-Boom wie bei der Vinyl-Schall­ platte. Denn während immer mehr Musik online gestreamt wird, konnte sich das E-Book in der Schweiz bisher nicht durchsetzen. Sein Marktanteil liegt bei zehn Prozent. Das analoge Buch hat etwas an sich, was der Mensch offensichtlich auch in digita­ len Zeiten nicht aufgeben will: die physische Interaktion damit, das un­ gestörte Eintauchen in Leseerlebnisse. «Die Menschen verbringen schon viel zu viel Lebenszeit amComputer», sagt Buchhändlerin Carol Forster, «sie ge­ niessen die Auszeitenmit einemBuch in den Händen.» Ihre Berufskollegin Beatrix Stuber betont, sie habe «keine Lust, nur noch Datenverwalterin zu sein». Und SBVV-Geschäftsführer Dani Landolf zitiert den Schriftsteller Umberto Eco: «Das Buch ist wie der Löffel – eine Erfindung, die schlicht nicht zu verbessern ist.» «Wir bewegen uns auf dünnem Eis, aber das Eis trägt.» Verleger Matthias Haupt führt das Familienunternehmen in dritter Generation. Der Haupt-Verlag gibt heute vor allem Sachbücher zu Natur und Umwelt sowie zu Basteln und Design heraus. Dabei wird auf Qualität gesetzt, auch gestalterisch. Der Verleger zückt «Steine Berns», ei­ nen neuen geologischen Exkursions­ führer durch die Bundesstadt. Fast zärtlich streicht er über den rauen Einband: «Das Papier ist dem Sandstein nachempfunden.» Die Hap­ tik, also das tastende Anfassen – für Haupt ein unschlagbarer Vorteil des gedruckten Buchs. Hochwertig hergestellt, finden auch Nischenbücher ihr zahlungsbe­ reites Publikum. Der Pflanzenführer Flora Helvetica ist inzwischen in der sechsten Auflage bei Haupt erschie­ nen. Praktisch jedes wild wachsende Blümchen in der Schweiz ist darin ver­ merkt, dochmit fast zwei Kilogramm liegt er dem Blütenfreund gar schwer im Rucksack. Der Verlag kombiniert das Buch nun mit Technologie des 21. Jahrhunderts, einer App fürmobile Geräte. Diese hat ebenfalls ihren Preis, läuft laut Haupt aber sehr gut. Anders als die Zeitungsverleger machten die Buchverleger nie den Fehler, ihre Produkte online gratis abzugeben. «Wir bewegen uns auf dünnem Eis», sagt Haupt, «aber das Eis trägt.» Er sei optimistischer als vor fünf Jahren. Mehr als ein Retro-Boom EinDrittel der in der Schweiz verkauf­ ten Bücher sind Belletristik, vom Roman bis zum Regionalkrimi. Auch Biografien kommen gut an, nicht nur Einen Querschnitt durch die aktuelle Schweizer Buchszene finden Sie auf der folgenden Seite.

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