Schweizer Revue 1/2019

Schweizer Revue / Januar 2019 / Nr.1 19 Politik JÜRG MÜLLER Es war eine aussergewöhnliche Bun- desratswahl – und gleichzeitig eine Wahl imZeichen von Normalität und Konsolidierung. Aussergewöhnlich war sie, weil erstmals in der Ge- schichte gleichzeitig zwei Frauen in die Landesregierung gewählt wurden, und dies auch noch souverän im ers- ten Wahlgang. Eine Wahl im Zeichen von Normalität und Konsolidierung war es deshalb, weil keine Intrigen stattfandenund keine Sprengkandida- turen lanciert wurden. Zudemwurde von keiner Seite der Sitzanspruch der Christlichdemokraten (CVP) und der Freisinnigen (FDP) inZweifel gezogen. In Zeiten labiler Regierungsmehrhei- ten in ganz Europa hat die Schweiz ein Zeichen unaufgeregter Normalität und Stabilität gesetzt. Das heisst aber nicht, dass die Bun- desratswahlen vom5. Dezember 2018 imVorfeld keinen Staub aufgewirbelt hätten. Nach den Rücktritten von JohannSchneider-Ammann (FDP) und Doris Leuthard (CVP) im September (siehe «Schweizer Revue» vomNovem- ber 2018)war das Thema inden Medien höchst präsent. Die St. Galler Stände- rätin und frühere RegierungsrätinKa- rin Keller-Sutter war bei der FDP von Beginn weg die unangefochtene Spit- zenkandidatin. Bei der CVP war die Ausgangslage unklarer: Die Forderung nach einer Frauenkandidatur war zwar ebenfalls vonAnfang an da, doch brachten sich auch einige Männer in Position. Zwei Zweiertickets Da es seit einiger Zeit üblich geworden ist, der Bundesversammlung eine Aus- wahl von mindestens zwei Kandidie- renden zu präsentieren, sahen sich selbst die Freisinnigen mit ihrer un- angefochtenen Kronfavoritin gezwun- gen, ein Zweierticket vorzulegen. Zur Verfügung stellte sich der Nidwaldner Ständerat Hans Wicki, der zwar nicht den Hauch einer Chance hatte, aber immerhin seinen Bekanntheitsgrad steigern konnte. Die CVP setzte nach einer parteiinternen Ausmarchung schliesslich dieWalliser Nationalrätin und frühere Stadtpräsidentin von Brig-Glis, Viola Amherd, und die Ur- ner Regierungsrätin Heidi Z’Graggen auf ihr Zweierticket. Die beiden Frauen lieferten sich in der öffentli- chen Debatte während längerer Zeit ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Deshalb war es dann doch eine grosse Überraschung, dass sich Am- herd bereits im ersten Wahlgang mit 148 Stimmen durchsetzte, während Z’Graggen auf 60 Stimmen kam. Die beidenKandidatinnen unterschieden sich nicht fundamental, doch kam einmal mehr die alte Regel zum Zug, dass die Bundesversammlung Persön- lichkeiten vorzieht, die man aus der parlamentarischen Zusammenarbeit kennt. Bei Keller-Sutter erwartete oh- nehin niemand eine Überraschung, sie wurde mit 154 Stimmen ebenfalls imerstenWahlgang gewählt, ihr Kon- kurrent Wicki erreichte mit 56 Stim- men einen Achtungserfolg. Die dreifache Normalität Die Bundesratswahlen zeugen in drei- facher Hinsicht von einer konsolidier- ten Normalität und Stabilität: Erstens ist der Anspruch der Frauen auf ange- messene Vertretung in der obersten Landesbehörde über die Parteigren- zen hinweg zu einer Selbstverständ- lichkeit geworden. Zweitens ist Ruhe eingekehrt, seit die Schweizerische Volkspartei (SVP) ihre zwei Sitze im Bundesrat hat; gehässige Debatten, über die «richtige» Zauberformel spielen derzeit bei Bundesratswahlen keine Rolle mehr. Und drittens verän- dern die beiden neugewählten Bun- desrätinnen die politische Mechanik innerhalb des Gremiums kaum: Die rechtsliberale Karin Keller-Sutter un- terscheidet sich in ihren wichtigsten politischen Positionen wenig von ih- remVorgänger Johann Schneider-Am- mann. Das gilt auch für Viola Amherd, diewie die abtretendeDoris Leuthard als klassischeMittepolitikerin eher so- zial-liberal politisiert. Amherd gilt als wirtschaftsliberal, gleichzeitig aber als gesellschaftspolitisch offen und wird dem linken CVP-Flügel zugeordnet. Keine Richtungswahl EineRichtungswahlwar der 5. Dezem- ber definitiv nicht. Diese hat nämlich schon im September 2017 stattgefun- Aussergewöhnlich – und doch normal Erstmals wurden im Dezember 2018 gleichzeitig zwei Frauen in den Bundesrat gewählt – und erstmals steht eine Frau an der Spitze des Verteidigungsministeriums. Doch eine entscheidende politische Weichenstellung waren diese Ersatzwahlen nicht. Jubel im Wallis nach der Wahl von Viola Amherd. Dass sie erste Verteidigungs- ministerin des Lan- des wird, war da noch nicht bekannt. Bild Keystone

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