Schweizer Revue 1/2019
Schweizer Revue / Januar 2019 / Nr.1 21 Politik JÜRG MÜLLER Eswar einAbstimmungssonntagmit einemtypisch schwei zerischen Themenmix: Beziehungen Schweiz–Ausland, Landwirtschaft, Versicherungen. Ganz klar im Zentrum der Debatte stand die Selbstbestimmungsinitiative (SBI) der Schweizerischen Volkspartei (SVP). Sie wollte den absoluten Vorrang des schweizerischen Rechts vor dem Völkerrecht. Das hätte zu einer Veränderung des Umgangs mit internationalen Verträgen geführt: Bei einemWider spruch zwischen schweizerischem Verfassungsrecht und völkerrechtlichen Normen hätte automatisch nationales Recht Vorrang erhalten. Für die Gegnerschaftwar dies eine zu starre Regelung, die flexible Lösungen und Kompro misse ausgeschlossen hätte. Internationale Verträgewären gemäss Gegnerinnen und Gegnern aufs Spiel gesetzt, Stabilität und Rechtssicherheit gefährdet worden. Das Volksbegehren wurde denn auchmit 66,2 Prozent Neinstimmen wuchtig verworfen; noch deutlicher als die Stimmenden im Inland sprachen sich die Auslandschwei zerinnen undAuslandschweizer gegen die Vorlage aus. Die SVP konnte lediglich ihre eigeneWählerbasismobilisieren. Dieses Resultat ist deshalb bemerkenswert, weil es einem internationalen Trend zuwiderläuft: In vielen Staaten sind derzeit Abschottungstendenzen erkennbar. Nationalis tische Aufwallungen von denUSAüber Grossbritannien bis hin zu Ungarn, Polen und Italien richten sich gegen über geordnetes Recht, gegen internationale Organisationen und preisen den nationalen Alleingang. Empfindliche Niederlage für die SVP Warum das in der Schweiz in diesem Fall anders ausging, hat verschiedene Gründe. Das Themawar für dieMehrheit der Stimmenden wohl zu abstrakt, zu weit weg von den wirklichen Sorgen des Alltags. Dazu kam die Angst vor wirtschaftlicher und politischer Isolation des Kleinstaates, vor Rechtsunsicherheit in einem ohnehin labilen interna tionalenUmfeld. Einewichtige Rolle gespielt haben dürfte auch die Warnung der Gegnerinnen und Gegner, die An nahme der Initiative hätte in letzter Konsequenz zu einer Kündigung der EuropäischenMenschenrechtskonvention geführt. Diese und andere Unwägbarkeiten der Initiative dürften die Leute verunsichert und den Weg für das prag matische Ja geebnet haben. Für die SVP ist das Nein eine empfindlicheNiederlage – und dies unmittelbar vor demWahljahr (siehe Beitrag ab Seite 6). SVP-NationalrätinMagdalenaMartullo-Blocher sprach im Vorfeld des Urnengangs von der «wohl wichtigsten Ab stimmung seit dem EWR-Nein von 1992». Damit trieb sie den Preis hoch und erklärte die Vorlage gewissermassen zu einem Kernthema der Partei. Doch die Gegenseite schlief nicht. Bereits vor dem Sammelbeginn für die SVP-Volks Frischluftkur für die direkte Demokratie Das Stimmvolk versenkte am 25. November 2018 die SVP-Selbstbestimmungsinitiative und die Hornkuh initiative und sagte Ja zu Sozialdetektiven. Bei allen Vorlagen gaben zivilgesellschaftliche Gruppen den Ton an. initiative im Jahr 2015 brachten sich zivilgesellschaftliche Gruppen in Stellung. Mit der frühen strategischen Positio nierung ist es der Operation Libero und der Allianz für Zivilgesellschaft/Schutzfaktor M gelungen, rund 120 Orga nisationen hinter sich zu scharen und damit langfristig die argumentative Lufthoheit zu gewinnen. Am Schluss stand die SVP allein da, weil auch alle anderen Parteien und der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse gegen die Initia tive antraten. Die SVP schien zu spüren, dass sie einen schwierigen Stand hatte. Sie versuchte jedenfalls, stattmit dembekannt aggressiven Stil mit einem sanften Werbeauftritt die poli tische Mitte anzusprechen. Auf den meisten Plakaten und Inseraten war auch kein SVP-Logo zu finden. Von den Plakatwänden lächelten sympathische, junge Leute mit weichgespülten Botschaften: «Ja zur Selbstbestimmung, Ja zur direkten Demokratie.» Achtungserfolg für «Hornkuh-Rebell» Die Stärkung der direkten Demokratie, sie war ein zentra les Argument der SVP im Abstimmungskampf. Dabei zeigte gerade die Abstimmung zur Hornkuhinitiative ein drücklich die Vitalität dieser direkten Demokratie. Die Vorlage wurde zwar abgelehnt, erzielte aber mit einem Magdalena Martullo Blocher erklärte die Selbstbestimmungs initiative zum Kern thema der SVP. Aber die Partei scheiterte klar. Foto Keystone
RkJQdWJsaXNoZXIy MjYwNzMx