Schweizer Revue 1/2019

Schweizer Revue / Januar 2019 / Nr.1 22 Bundesrat, Parlament und die bürgerlichen Parteien, un- tergrabe das Vertrauen der Bevölkerung in die Sozialversi- cherungen; die Solidarität und die Bereitschaft, die Kosten gemeinsam zu tragen, werde geschwächt. Neue Konkurrenz für Parteien und Verbände Die drei sehr unterschiedlichen Vorlagen und der Abstim- mungskampf haben eines gemeinsam, denn sie verweisen alle auf ein noch junges Phänomen in der schweizerischen Demokratie: Die Parteien und Verbände – also die traditi- onellen referendumsfähigen Institutionen – erhalten mas- sive Konkurrenz von unterschiedlichen zivilgesellschaft- lichenGruppen. Das Referendumgegen Sozialdetektive gilt als erstes Online-Referendum, organisiert von einer vier- köpfigen Gruppe. Die Hornkuhinitiative wurde von einer Einzelperson aus dem Boden gestampft. Und die Kampa- gne gegen die SVP-Initiative wurde von äusserst gut ver- netzten, schlagkräftigen zivilgesellschaftlichen Gruppen koordiniert, die sich unideologisch über politische Gräben hinweg zusammenschlossen und weitgehend ausserhalb des traditionellen Parteienspektrums operierten. Bundes- rat, Parlament, ParteienundVerbändemüssen sich auf ganz neue «Mitspieler» gefasst machen. Politische Prozesse wer- den dadurch möglicherweise komplizierter und schwieri- ger zu steuern. Doch für die direkteDemokratie ist das eine gute Nachricht. Jastimmen-Anteil von 45,3 Prozent ein deutlich besseres Resultat als die Initiative der grössten Partei des Landes und damit einen Achtungserfolg. Der Bergbauer ArminCapaul griff zumMittel der Volks- initiative erst, nachdem verschiedene Interventionen in Verwaltung und Politik nichts brachten. Praktisch im Alleingang und mit einigen Helfern sammelte er rund 120000 Unterschriften. Capaul wollte in die Verfassung schreiben, dass der Bund den Haltern von Kühen und Ziegenmit Hörnern Subventionen ausrichtet. Das Ausbren- nen der Hörner sei Tierquälerei, verstümmele die Tiere und verletze damit ihre Würde. Finanzielle Unterstützung sei notwendig, weil die Haltung von Hornkühen mehr Platz brauche. Die Gegnerschaftbefand, Tieremit Hörnern seien gefährlich. Und das Volksbegehren könne dem Tierwohl gar schaden, weil viele Bauern ihre behornten Tiere imStall anbindenwürden, statt sie in Laufställen zu halten. Capaul wurde im Abstimmungskampf lediglich von linksgrünen Kreisen unterstützt. Doch er und sein Anliegen erhielten hohe mediale und internationale Beachtung. Keine Chance hatte das Referendum zu den Sozial­ detektiven. Das Gesetz zur verdeckten Überwachung von Versichertenwurdemit 64,7 Prozent Jastimmen klar ange- nommen. Den Gegnern ging das Gesetz zu weit. Sie fürch- teten, dass die Detektive der Sozialversicherungen den mutmasslichen Betrügern bis ins Schlafzimmer nachspio- nieren dürften und damit das Grundrecht auf Privatsphäre verletzt werde. Versicherungsbetrug, so argumentierten Sein Anliegen war nicht jenes mit der grössten Tragweite, aber er erfuhr enorm breites und inter­ nationales Medien­ interesse: Bergbauer Armin Capaul, der Vater der – geschei­ terten – Hornkuh­ initiative. Foto Keystone

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