Schweizer Revue 1/2019

Schweizer Revue / Januar 2019 / Nr.1 8 «Direkte Demokratie baut Spannung ab» In neun Monaten wird in der Schweiz gewählt. Politikwissenschaftler Michael Hermann über aufgebrochene Gräben, inneren Kitt und den Zustand der Schweizer Demokratie. Der Berner Michael Hermann ist einer der profiliertesten Politikbeobachter der Schweiz. Der Sozialgeograf und Politikwissenschaftler leitet die Forschungsstelle Sotomo in Zürich. Foto R. Ruis Schwerpunkt meistenWählerstimmen zulegen. Bereits liebäugeln einige mit einem grünen Sitz im Bundesrat – auf Kosten der CVP. Matte Mitte, fitter Freisinn Denn die CVP, die älteste Kraft in der politischenMitte, sie verharrt imFormtief. Seit Längerembüsst die Partei auf na- tionaler Ebene Wähleranteile ein. Unter neuer Führung versucht sie seit drei Jahren, ihre christlich-konservativen Wurzeln zu betonen und eine Wertedebatte im Umgang mit dem Islamanzuführen. DenAbwärtstrend stoppte das bisher nicht, wie das Wahlbarometer und Sitzverluste in kantonalen Parlamenten nahelegen. Dazu kommt die Kon- kurrenz in der Mitte, wo auch die Bürgerlich-demokrati- sche Partei (BDP) und die Grünliberale Partei (GLP) um Stimmen buhlen. In Kantonsregierungen und im Stände- rat ist die CVP allerdings nach wie vor eine Grösse. Aussichtsreich startet die FDP ins Wahljahr. Die Trend- wende, die 2015 begann, hat sich fortgesetzt: keine Partei ge- wann seither bei kantonalenWahlenmehr Parlamentssitze dazuals die Freisinnigen. AuchdasWahlbarometer sieht die FDP im Plus. Die Wählerschaft traut ihr gemäss Umfragen zu, zur Lösungwichtiger ThemenwiedemVerhältnis zur EU beizutragen. Der FDP scheint es gelungen, sich vomWirt- schaftsfilz-Image zu lösen. Gar keine Freude hat die Partei- leitung deshalb an Exekutivpolitikern in der Westschweiz, die imVerdacht stehen, sichGefälligkeitenbezahlt habenzu lassen (siehe Seite 31). Neue Pflänzchen Neben den verwurzelten Parteien wuchsen in der Schwei- zer Politlandschaft auch neue Kulturen: aus demMoment heraus, agil, digital. Auf allen Kanälen schiesst vor be- stimmtenUrnengängen dieOperation Libero gegen die SVP, junge Frauen und Männer, die sich liberal verorten und eine weltoffene Schweiz wollen. Behäbige politische Pro- zessewerdenmitunter beschleunigt. Als der Bundesrat die Kriterien fürWaffenexporte in Bürgerkriegsländer lockern wollte, sicherten innert zwei Tagen so viele empörte Bür- gerinnen und Bürger online ihre Unterstützung für eine Volksinitiative zu, dass die Regierung ihren Entscheid zu- rücknahm. Und es kam zum ersten Twitter-Referendum: Drei Privatpersonen lancierten über das soziale Netzwerk eine Unterschriftensammlung gegen die Sozialdetektive. Sehr rasch kam die Gesetzesrevision vors Volk. Referen­ dumsstärke ohne Parteiinfrastruktur und finanzkräftige Organisation imRücken: Das hatte es vorher in der Schweiz nicht gegeben.

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