Schweizer Revue 2/2019
Schweizer Revue / März 2019 / Nr.2 18 Politik JÜRG MÜLLER Exakt 167 Jahre mussten die Ausland schweizerinnen und Auslandschwei zer seit der Gründung des Bundes staates 1848warten, bis erstmals einer der ihren in den Nationalrat gewählt wurde. 2015 war es dann so weit: Der prominente Ex-Diplomat Tim Guldi mann (SP) mit Wohnsitz in Berlin zog als erster «echter» Auslandschweizer ins Parlament ein. Für diemagere Prä senz der Fünften Schweiz im Parla ment gibt es Gründe: Die meisten Kandidierenden sind, im Gegensatz zu Guldimann, sowohl im Inland wie im Ausland weitgehend unbekannt. Trotz dieser Hürde nimmt das Inter esse an einemMandat zu. 1995 kandi dierten bloss drei Auslandschweizer. 2015 waren es bereits deren 56. Auch das Interesse amWählen und Abstim men in der altenHeimat wächst leicht: 2018 ist die Zahl der als stimmberech tigt Eingetragenen von 172000 auf 174000 gestiegen, dies bei einer Ge samtzahl von 752000Auslandschwei zern. Probleme nach der Wahl IstmanalsAuslandsbürgerinoder -bür ger erst einmal ehrenvoll in den Nati onalrat gewählt worden, gibt es einige Probleme zu überwinden. Sie begin nen mit Artikel 10 des Parlamentsge setzes: «Die Ratsmitglieder sind ver pflichtet, an den Sitzungen der Räte und Kommissionen teilzunehmen.» Und zwar persönlich und physisch; mit Skype kannman sich nicht in eine Parlamentsdebatte oder eine Kommis sionssitzung einklinken, auch nicht, wenn man in Australien wohnt. Zu Buche schlagen da die Reisekosten, und zwar beim Staat. JedemMitglied des Nationalrats wird die Reise nach Bern unabhängig vom Wohnort be zahlt, selbst wenn man von Südame rika her anreisen muss. Berappt wird die Reise bis zur Schweizer Grenze. In der Schweiz selbst haben ohnehin sämtliche Parlamentsmitglieder das Generalabonnement. Es gibt aber noch ein weiteres Problem, wennman vomAusland her ein helvetisches Parlamentsmandat wahrnehmenwill: Es ist nicht einfach, in einem Land zu leben und in einem anderen zu politisieren. Tim Guldi mann hat das Dilemma auf den Punkt Schweiz im Parlament institutionell abzusichern. Vor rund zehn Jahren schlugen zwei Parlamentarier erfolg los vor, für die Auslandschweizer ga rantierte Sitze inNational- undStände rat zu schaffen. Europaweit ist dieser Lösungsansatz eher selten: Nur Frank reich, Italien, Kroatien, Portugal und Rumänien haben fixe Parlamentsver tretungen für die Diaspora. Das Thema, ob die Schweiz ihren Auslandsbürgerinnen und -bürgern eine garantierte Anzahl Parlaments sitze reservieren soll, wird aber früher oder späterwieder zur Debatte stehen. NachAuskunft vonAriane Rustichelli, Direktorin der Auslandschweizeror ganisation (ASO), prüft jedenfalls eine Arbeitsgruppe des Auslandschweizer rates das weitere Vorgehen. Im Lauf des Jahres 2019 soll der Abschlussbe richtmit entsprechenden Empfehlun gen vorliegen. Politiker wollen Stimmrecht der Auslandschweizer einschränken Imhelvetischen Politikbetrieb gibt es aber auch vereinzelte Bestrebungen, das Stimm- und Wahlrecht der Aus landschweizerinnen und -schweizer eher einzuschränken, statt auszudeh nen. FDP-Ständerat Andrea Caroni erklärte gegenüber Swissinfo, er finde es «nicht normal, dass Personen, die nie in der Schweiz gelebt haben und die auch nicht die Absicht haben zu rückzukehren, hier das Stimm- und Wahlrecht haben, während ein bes tens in der Schweiz integrierter Aus länder sich nicht zu Entscheiden äu ssern darf, die ihn direkt betreffen». SVP-Nationalrat Peter Keller wiede Das Wahlrecht für Auslandschweizer ist unter Druck Wer den Schweizer Pass besitzt und im Ausland lebt, darf in der Schweiz abstimmen und wählen – und gar für einen Sitz im Parlament kandidieren. Doch in der Schweiz selbst gibts kritische Stimmen zu den ausgebauten politischen Rechten der Fünften Schweiz. gebracht: «In einem Zürcher Tram ist es nicht wie in der Berliner U-Bahn.» Er habe es als Auslandschweizer nur beschränkt geschafft, in seinem Zür cherWahlbezirk präsent zu sein. Und so ist er denn auch zwei Jahre nach sei ner Wahl von 2015 bereits wieder zu rückgetreten. Fixe Sitze für Auslandschweizer? Trotzdem: Immer wieder gibt es Be mühungen, die Präsenz der Fünften Tim Guldimann, erster «echter» Auslandschweizer im Nationalrat über sein Dilemma: «In einem Zürcher Tram ist es nicht wie in der Berliner U-Bahn.» Foto Keystone
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