Schweizer Revue 2/2019

Schweizer Revue / März 2019 / Nr.2 7 ärzte eingerechnet). Doch die Ärztin- nen und Ärzte sind ungleich verteilt. Im urbanen Basel-Stadt kommen 10,1 Ärzte auf tausend Einwohner, imBerg­ kanton Uri sind es gerade mal 1,8. Dazu kommen gegenläufige Entwick- lungen: Einerseits werden die Haus­ ärzte knapp, anderseits verhindern Zulassungsbeschränkungen für frei praktizierende Ärzte einÜberangebot, dies vor allembei den teurerenSpezial­ ärzten in städtischen Gebieten. So wird gleichzeitig vor Ärztemangel und Ärzteüberfluss gewarnt. Klar ist nur: Die Gesundheitskos- ten in der Schweiz steigen von Jahr zu Jahr. Genauso tun es die Prämien für die Krankenversicherung, die in der Schweiz obligatorisch ist. Die Politik tut sich schwer, das Kostenwachstum einzudämmen. Das hat auchmit dem komplizierten Gesundheitswesen zu tun. Es ist eine Mischung aus staat­ lichen Eingriffen und freiem Markt, mit zahlreichen Akteuren und unter- schiedlichen Interessen: vom Bund über die Kantone, Gemeinden, Ärzte, Spitäler, Krankenversicherungen bis zu den Patienten. Ärztedemo auf dem Bundesplatz 2006 platzte den Hausärzten der Kra- gen. Viel Frust hatte sich angesammelt. Als der damalige Gesundheitsminis- ter Pascal Couchepin (FDP) den Tarif für Laboruntersuchungenkürzte, kam es in Bern zu einem ungewohnten Bild: Tausende Hausärzte demonst- rierten vor dem Bundeshaus für eine Stärkung ihres Berufs. Auch die Volks- initiative «Ja zur Hausarztmedizin» machte Druck. Ein Gegenvorschlag zur Initiativewurde 2014 vomStimm- volk überaus deutlich angenommen. Die Hausarztmedizin erhielt Verfas- sungsrang: Bund undKantonemüssen seither für eine ausreichende Grund- versorgung von hoher Qualität sorgen und die Hausarztmedizin als wesent- lichen Bestandteil fördern. Ein Mas- terplan, initiiert von Couchepins Nachfolger Alain Berset (SP), führte zur Besserstellung der Hausärzte in tariflichen Fragen, zudem gab es Ver- besserungen in der Aus- und Weiter- bildung. Hat das alles gewirkt? Und was waren überhaupt die Gründe, dass sich immer weniger junge Ärzte für den Hausarztberuf entschieden? Wir machen uns mit diesen Fragen auf ins Berner Universitätsquartier. Dort arbeitet Professor Sven Streit im2009 gegründeten Institut für Hausarzt­ medizin. Dass es dieHausarztmedizin heute als akademische Diszplin gibt, sei schon ein Teil der Lösung, sagt Streit: «Der Hausarzt hatte innerhalb der Ärzteschaft ein Image-Problem.» Der Hausarzt habe als Praktiker fernab der Wissenschaftlichkeit ge- golten. Gezielte Nachwuchsförderung «Völlig zuUnrecht», wieWissenschaft- ler Streit betont. Hausärzte hätten ein breites Wissen und seien genauso auf Forschungsresultate angewiesen wie Spezialärzte im Zentrumsspital. Am Berner Institut lehren und forschen inzwischen vier Professuren, etwa zu Bluthochdruck oder zur Versorgung mehrfach kranker älterer Menschen. Auch die Nachwuchsförderung wird unter die Lupe genommen. Und da zeigt sich: Die Bemühungen beginnen zu fruchten. «Heute geben mit zwan- zig Prozent doppelt so viele Medizin- studierende als Berufsziel Hausarzt an wie noch vor zehn Jahren», sagt Streit. Das dürfte damit zu tun haben, dass angehende Mediziner heute be- reits während des Studiums zu Haus­ ärzten in Praktika geschickt werden. In der fachärztlichen Weiterbildung nach dem Staatsexamen erhalten sie zudem Gelegenheit, in Hausarztpra- xen eine Assistenz zu absolvieren. Die Kantone subventionieren einen Teil der Löhne. Der Kanton Bern zum Bei- spiel zahlt jährlich 1,5 Millionen Fran- ken an 35 Praxisassistenzen. 80 Pro- zent der Absolventen würden laut Streit später tatsächlich Hausarzt: «Die Einblicke in die Praxis sind wich- tig.» So könne einmodernes Hausarzt- bild vermittelt werden. «Abschied vom Einzelkämpfer» Eine Medizin auf Augenhöhe, ausge- richtet auf den Patienten, der als gan- zer Mensch wahrgenommen werde: das sind laut Streit Trümpfe der haus­ ärztlichen Tätigkeit. Zum modernen Berufsbild gehören aber auch verän- derte Arbeitsbedingungen. Von Mon- tag bis Sonntag erreichbar zu sein, wie Mehr Ältere, mehr Chronischkranke Die Schweiz altert. Bis 2045 dürfte sich die Zahl der über 65-Jährigen von 1,5 Millionen auf 2,7 Millionen erhöhen, wie das Bundesamt für Statistik prognostiziert. Der wachsende Anteil älterer Menschen, aber auch der moderne Lebensstil – zu wenig Bewegung, Rauchen, ungesunde Ernährung – führen dazu, dass chronische Erkrankungen wie Krebs, Diabetes, Herz­ Kreislauf-Leiden und Demenz zunehmen. Viele Ältere haben mehrere Erkran- kungen gleichzeitig. Chronische Erkrankungen verursachen heute den Gross- teil der Gesundheitskosten von jährlich über 80 Milliarden Franken in der Schweiz. (SWE) 2006 kam es zu einem ungewohnten Bild: Die Hausärzte und Hausärztinnen demonstrierten in Bern. Foto Keystone

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