Schweizer Revue 3/2019
Schweizer Revue / Mai 2019 / Nr.3 15 zahlloser Schulen gibts zumindest eine Kletterwand. Die grösste Halle steht in Uster (ZH) und verzeichnet seit ihrer Eröffnung im Jahr 2014 stetig steigende Besucherzahlen. «Wer heutemit demKlettern anfangenwill, beginnt damit in der Regel in der Halle», sagt Martin Baumeler von der Genossenschaft Griffig, die die Halle in Uster betreibt. Zwei Drittel der Hallenkletterinnen und -kletterer übe den Sport später auch draussen aus, ein Drittel allerdings ausschliesslich in der Halle, sagt Baumeler. Weiblich, cool, trendig Für den Hallenboom mitverantwortlich sind die Frauen, sagt Hanspeter Sigrist. «ImKlettersport wurden die Frauen lange nicht besonders ernst genommen. Die Rollen waren klar definiert: In einer Seilschaft steigt der Mann vor.» Das Hallenklettern habe den Frauen einen neuen, selbständi- genZugang zumKlettersport ermöglicht. Heute beträgt ihr Anteil beim Hallenklettern laut Sigrist rund 50 Prozent. Frauen wie Männer – und kletternde Kinder und Jugendli- che ebenso – stammten zudem längst nicht mehr nur aus der Alpinistenszene: Sportklettern in der Halle sei zum Breitensport geworden und gelte heute als «cool und tren- dig», sagt Sigrist. Hallenklettern ist quasi diemoderne und urbane Version ihrer Ursprungssportart. Weg vomBerg, rein in die Stadt: Diese Tendenz scheint der Sportart Aufschwung verliehen zu haben. Der Trend zum Klettern in der Halle dürfte aber mindestens einen weite- ren Grund haben: Hallenklettern gilt als sicher. Wer etwa Bouldern an. Für Petra Klingler ist er allerdings nur eine Etappe auf demWeg zu einemweit grösseren Ziel: Sie will sich für dieOlympischen Spiele 2020 in Tokio qualifizieren. In Tokio werden die Sportkletterer erstmals um olym pisches Edelmetall kämpfen (siehe Zusatztext). Fünf Athletinnen und Athleten gehören zum Olympiapool des Schweizerischen Alpenclubs, SAC. Die 27-jährige Petra Klingler ist eine von ihnen. Sie ist Schweizermeisterin im Speed- und Leadklettern und Weltmeisterin im Bouldern. Klingler ist damit in den drei Disziplinen erfolgreich, die auch in Tokio geklettert werden. Trainieren an Kunststoffwänden Sein nationales Leistungszentrum hat der SAC in einer alten Bieler Industriehalle eingerichtet. In der Ecke steht ein abgewetztes Sofamit Beistelltisch, eine Kaffeemaschine ergänzt die extrem spartanische Einrichtung und an den Wänden hängen Trainingspläne. Das Leistungszentrum verströmt denCharme einer Studentenbude –weit weg von Fels, Wind und Wetter. Trainiert wird an Kletterwänden aus Kunststoff. Klettern draussen, amFels, hat imTraining- salltag keine Priorität: «In den nächsten zwei Jahren, bis Olympia, muss das Felsklettern indenHintergrund rücken», sagt Petra Klingler. Die Schweiz, das Land der Berge, wird sich an denOlym- pischen Spielen also nicht amFels, sondern an einer Kunst- stoffwand bewähren müssen. Doch das entspricht dem Wandel, den die Sportart auch in der Schweiz erfahren hat. Bis in die 1990er-Jahrewurde ausschliesslich imFreien, am Fels, geklettert. 1993wurde inNiederwangen (BE) die erste Kletterhalle der Schweiz eröffnet. Betriebenwird sie heute von Hanspeter Sigrist und seiner Frau Gabriele Madlener Sigrist. Sigrist ist auch Leistungssportchef des SAC im Be- reich Klettern. «Als wir die Kletterhalle projektierten, er- klärten uns alle für verrückt», sagt er. Die vorwiegend männlichen Alpinisten hätten sich noch nicht vorstellen können, in einer Halle zu klettern. Mittlerweile gibt es schweizweit über 50 Kletterhallen und in den Turnhallen Klettern, olympisch Insgesamt zwanzig Athletinnen und zwanzig Athleten dürfen beim erstmals ausgerichteten Sportkletterwettbewerb an den Olympischen Spielen Tokio 2020 teilnehmen. Dafür müssen sie sich vorgängig an internationalen Wettkämpfen qualifizieren. Geklettert wird in Tokio in drei Disziplinen: ■ ■ «Lead», dem möglichst hohen Klettern am selbst einzuhängenden Seil ■ ■ «Speed», dem gesicherten Klettern auf Zeit ■ ■ «Bouldern», dem Klettern ohne Seil in Absprunghöhe Nur wer in allen drei Disziplinen reüssiert, hat Chancen auf eine Medaille. Weltmeisterin Petra Klingler: «Ich kann mir heute mit dem Klettern ein bescheidenes Leben finanzieren.» Foto Danielle Liniger
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