Schweizer Revue 3/2019
Schweizer Revue / Mai 2019 / Nr.3 7 und 76-jährig, an den Ort ihres Wir- kens zurückgekehrt, erzählen über jene Zeit und legen Fotos vor. Sie zei- gen junge Männer mit altmodischen Frisuren, wie sie an einem Sonnen- windsimulator hantieren – Berner Physiker von damals. Meister hatte als Experimentalphysiker das Segel mit entwickelt. Bochslerwar damals noch nicht direkt involviert. Als Professor wurde er aber später Co-Leiter des In- stituts und somit Geiss‘ Nachfolger. Geiss selbst ist mittlerweile über 90-jährig und hat sich aus der Öffent- lichkeit zurückgezogen. Meister und Bochsler führen in den fensterlosen und mit Geräten überstellten Laborraum im Unterge- schoss des Instituts. In dessen Mitte glänzt im Licht der Lampen – das Son- nenwindsegel. Genauer: das Exemp- lar, das als Reserve diente. Meister und Bochsler stellen sich zumSegel wie zu einemalten Bekannten. Meister führt vor, wie die Folie von einer vorge- spannten Feder nach oben gezogen wird: «Genau gleich wie bei einem Fensterrollo.» «Wahnsinnig schön und einfach» Auf dem Mond eine Alufolie in den Sonnenwind stellen und wieder zu- rückbringen: «Das war eine wahnsin- nig schöne und einfache Idee», sagt Meister. Die Sonnenwindteilchen, die mit einer Geschwindigkeit von eini- genHundert Kilometern pro Sekunde unterwegs sind, also sehr viel langsa- mer als Licht, prallen auf die Folie und bleiben darin stecken. Wird die Folie später imLabor eingeschmolzen, lässt sich feststellen, wie viele Teilchen von jeder Sorte gefangen wurden. Alles musste so konstruiert sein, dass es einfach zu bedienen war und hundertprozentig funktionierte. Da war das Stativ, eine Teleskopröhremit ultrafeinenGewinden, das dieMecha- niker der Uni an ihre Grenzen brachte. Dawar die ausklappbare Rolle, die vor dem Gebrauch im Stativ verborgen war. Und schliesslich war da die Folie selbst, die mit Teflonklebeband ver- stärkt war, damit sie nicht auseinan- derriss. Meister: «Eine riesige Knack- nuss war die Gewichtsvorgabe von einem Pfund. Hätte das Experiment ein Kilogramm wiegen dürfen, wäre alles sehr viel einfacher gewesen.» Die Nasa überliess nichts dem Zu- fall und beauftragte den Astronauten Don Lind, in Bern die Vorrichtung zu testen. Anders als die Physiker und In- genieure kannte er die Astronauten- perspektive: Er wusste, was sich mit denklobigenHandschuhenüberhaupt greifen lässt. Meister: «Er gab uns eine Vielzahl von Anweisungen, die wir penibel genau umsetzten.» Sowurden Griffflächen am Stativ aufgeraut und wichtige Bestandteile rot eingefärbt. «Aber Lind hatte Freude an unserem Segel – wie an einem schönen Spiel- zeug.» Warum ausgerechnet Bern? Warum aber stammte das einzige nichtamerikanische Experiment der Apollo-11-Mission ausgerechnet aus Bern? «Daswar keinZufall», sagt Peter Bochsler. Die Berner Physiker hätten sich schon zuvor bei der Untersuchung vonMeteoriten hervorgetan. Dadurch hatten sie sich empfohlen für Experi- mentemitMondgestein. Und schliess- lich war da Professor Geiss, der mit vielen Wissenschaftlern der Nasa be- freundetwar unddie Beziehungen zur US-Raumfahrtbehörde «mit Hingabe und grossem Geschick pflegte», wie Bochsler sagt. JürgMeisterwar es, der die Folie in die USA brachte – imHandgepäck. Bei drei späteren Missionen hatte er Gele- genheit, den Start der Mondrakete mitzuerleben – aus anderthalb Kilo- metern Distanz: «Es war unfassbar und auf besondere Weise laut. Die tie- fen Frequenzen drücktenmir auf den Magen. MeinHemd hat vorne vibriert. Es klang so, als ob in einer riesigen Bratpfanne Spiegeleier brutzelten.» Als Neil Armstrong und Buzz Aldrin den Mond betraten, war es in der Schweiz drei Uhr nachts. Die Berner Physiker verfolgten das Geschehen im Institut am Fernseher. «Ich war nicht nervös», sagt JürgMeister, «ichwusste, dass esmit demSegel kein Problemge- ben wird – wir hatten es Hunderte Male getestet.» Peter Bochsler seiner- seits hoffte einfach, «dass die da heil wieder runterkommen». JürgMeister lebt heute unweit von Thun. Nach seiner Zeit an der Uni Bern wertete er als junger Doktor der Phy- sik in Texas Daten eines anderenApol- lo-Experiments aus. Zurück in der Schweiz heuerte er in Thun bei der Munitionsfabrik an und beschäftigte sich mit panzerbrechender Munition. Noch heute interessiert ihn alles, was fliegt. Nur sind es nicht mehr in erster Linie Flugzeuge und Raketen: Zu sammen mit seiner Frau züchtet er Schmetterlinge. Und jedes Mal, wenn er den Mond anschaue, werde ihm bewusst, «dass dort oben fünf Stative liegen, die ich in meinen Händen hielt – das ist schon besonders». Peter Bochslers Wanderjahre führ ten nach Israel. Amerika interessierte ihn weniger, «nicht zuletzt wegen der US-Beteiligung am Vietnamkrieg». Nach seiner Rückkehr nach Bern be- fasste er sich weiter mit der Erfor- Astronaut Buzz Aldrin pflanzt das Berner Sonnensegel auf den Mond – noch vor der amerikanischen Flagge. Foto Keystone
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