Schweizer Revue 4/2019
Schweizer Revue / Juli 2019 / Nr.4 11 Kultur MARC LETTAU Zunächst zur Grundsatzfrage, wie es demkulinarischen helvetischen Heiligtum überhaupt geht. In aller Kürze: Dem Schweizer Käse geht es immer besser. Die vollständige Liberalisierung des Käsehandels zwischen der Schweiz und der EU im Jahr 2007 erwies sich letztlich als heilsam. Seither nehmen die Exporte von Schweizer Käse stetig zu. Sie liegen heute bei deutlich über 70000 Tonnen pro Jahr. Eine Käse-News schlug aber diesen Frühling weit heftiger ein als alle Exportzahlen: Schweizer Käse istmusikalisch. Er hat sogar einen differenziertenMusikgeschmack. Er reagiert unterschiedlich aufMo- zarts «Zauberflöte», Led Zeppelins «Stairways to Heaven», Yellos «Mo- nolith» oder den Titel «Jazz» der Hip-Hopper vonATribe CalledQuest. Wir wissen dies dank dem experimentierfreudigen Burgdorfer Käse- händler Beat Wampfler und Michael Harenberg, dem an der Hoch- schule für Künste in Bern (HKB) lehrenden Musik- und Medien wissenschaftler. Das ungleiche Paar hatte sich nämlich gefragt: Beeinflussen Schallwellen den Stoffwechsel vonKäse derart, dass dies nachweisbar und kulinarisch spürbar ist?Wampfler undHarenbergs Teambeschallten in der Folge neun Laibe über sechs Monate hinweg. Ein «Referenzkäse» blieb unbeschallt. Wampfler hoffte bei Beginn des Experiments, dermit Hip-Hop be- schallte Käse möge besonders gut reifen: «Damit könnten vermehrt junge Leute auf denKäse-Geschmack kommen.» DieDegustation des ausgereiften Käses durch eine Fachjury erfüllte seine Hoffnung. Sie ergab tolle Noten für denHip-Hop-Käse. Er unterschied sich amdeut- lichsten vom unbeschallten Referenzobjekt, bestach durch sein «auf- fällig fruchtiges Aroma» und wies die grössten Löcher auf. HKB-Sprecher Christian Pauli sagt auf Anfrage der «Schweizer Revue», die «aufsehenerregende Forschung» werde nunweitergeführt. Das zwingt zur Nachfrage, wie das Klangkäseexperiment überhaupt zu verstehen ist. Ist es Kunst, Kommerz oder Klamauk? Pauli: «In der Tat bewegt es sich im Spannungsfeld zwischen Kunst und Kommerz. Klamauk war nie ein Thema.» Um den Klamaukverdacht zu entkräf- ten, verweist Pauli auf die Analyse der Zürcher Hochschule für Ange- wandte Wissenschaften (ZHAW). Diese belegt, dass die Beschallung wichtige Aromastoffe des Käses verändert hat. So steht nun fest, dass in der mit tiefen Frequenzen beschallten Käseprobe die Aromastoffe 2-Methylbutanal, 3-Methylbutanal, Methional, Phenylacetaldehyd, 2-Ethyl-3,5-DimethylpyrazineundPropionsäure inhöherenGehalten vorkommen als in den anderen Proben. Der unbedarfte Käsekonsu- ment, der sich bisher all diese Stoffe unwissentlich einverleibt hat, ist sicher froh über die Vertiefung der Forschung. Vielleicht kommen so bald alle zu Käse mit ganz persönlicher Note. Das kleine Käsewunsch- konzert der «Revue»-Redaktion zeigt schon mal die Bandbreite der Wünsche auf: Obenaus schwingen «Atom Heart Mother» (Pink Floyd), «Casta Diva» (Bellini), «We will rock you» (Queen), «Ha ke Ahnig» (Steff la Cheffe), die schmelzenden «Boleros Inolvidables» (Tito Rodríguez) und – ganz wichtig – Katja Ebsteins «Wunder gibt es immer wieder». Musikalischer Schweizer Käse Im Emmental wurden reifende Käselaibe über Monate hinweg mit Musik beschallt. Dank diesem Experiment weiss jetzt die Mensch- heit: Je nach Musikrichtung entwickelt Käse unterschiedliche Geschmacksnoten. Doch ist das nun Kunst, Kommerz oder Klamauk? Beat Wampfler hat ein offenes Ohr für Käse. Hier belauscht er gerade einen veritablen Laib Emmentaler Käse. Salzer Markus Schneider schaut zu. Foto Keystone
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