Schweizer Revue 4/2019

Schweizer Revue / Juli 2019 / Nr.4 13 1990er-Jahren an der Renovation der Bains de Pâquis auf der anderen See- seite beteiligt war. Yverdon und Zürich beobachten Genf «Der Blick auf das Seebecken ist aus­ sergewöhnlich; vor dem Verkehr ge- schützt findet man dort Ruhe», sagt Projektleiter Franck Pidoux. Er ist im Kanton Genf für die Renaturierung vonWasserläufen zuständig undweist darauf hin, dass schon vor Jahren mit Petitionen ein besserer Seezugang gefordert worden sei. «Wir hatten am Genfersee punkto Wasserzugang das schlechteste Angebot, anders als zum Beispiel in den Städten Bern und Zürich, die ihre Verbindung zu ihren Gewässern nie verloren haben», fasst er zusammen. Ein neuer Seezugang? Das Vorhaben ist heikel, weshalb sich auchVertreter der Städte Yverdonund Zürich das Projekt angeschaut haben, «um zu verstehen, wie es die Genfer geschafft haben, eine Anlage auf dem See zu bauen, was allein schon aus ge- setzlichen Gründen die grosse Aus- nahme ist», erklärt der Projektleiter. Badehäuser im Genfersee Die Beziehung der Stadt Genf zu ihren Ufern ist wechselvoll. «Im Mittelalter hatten die Menschen keine Angst vor demWasser. Genf verfügte über Bade- häuser an der Rhone, warme Bäder, dieOrte der Begegnungwaren. Mit der Reformationwurden sie verboten. Im Übrigen badeten die Genferinnen und Genfer im Laufe der Zeit trotz Verbot auch nackt in der Rhone», erzählt His- toriker Bernard Lescaze. «Was den Genfersee betrifft, sowurde dieser als Hafen und für die Industrie genutzt, bis im 18. Jahrhundert schliesslich die ersten Seebäder entstanden. Ab 1850 verlor der See seine kommerzielle Be- deutung und nach 1900wurde er von der Freizeitschifffahrt und den Regat- ten erobert.» Das Baden in der Rhone erlebte eine andere Entwicklung. «Vor demKrieg traf sich die Arbeiterklasse in den Bains des Pâquis, während in Genève-Plage am linken Ufer Schön- heitswettbewerbe abgehaltenwurden», fasst Bernard Lescaze zusammen, der die Entwicklung einer «Freizeit- und Wasserzivilisation» beschreibt. Zuhause am Strand statt Fernflüge Die Eröffnung des neuen Strandes von Eaux-Vives kommt zu einem wichti- gen Zeitpunkt für die Stadtentwick- lung. «Wir brauchen einen weiteren Strand, um auf gesellschaftliche Ent- wicklungen und auf die Klimaerwär- mung zu reagieren», sagt Architekt Marcellin Barthassat. Die Einrichtung neuer öffentlicher Räume in den Städ- ten sei wichtig, auch um Reisen ans Ende der Welt zu verhindern. «Die ur- bane Aufwertung ist eines der grossen Themen der Stadtentwicklung. Wir beobachten, dass die Zahl der Jungen, die die Fahrprüfung ablegen, sinkt und dass die Digitalisierung die Mo- bilität verändert.» Genf sei wahrlich einen weiten Weg gegangen, sagt FranckPidoux. Die Wende zumBesseren sei wohlmit dem Referendumzur Rettung der Bains des Pâquis im Jahr 1987 erfolgt: «In den Sechziger-, Siebziger- und Achtziger- jahren war der See stark verschmutzt. Man badete in Schwimmbädern. Die Situation hat sich gewandelt, der See ist zu einem Gewässer von sehr guter Qualität geworden. Er zieht immer mehrMenschen anunddie Stadtmuss auf diese Nachfrage reagieren.» Nähe zum Wasser im Norden In der Deutschschweiz sei der Zugang zum Wasser «direkter und unver- krampfter», sagt Marcellin Barthassat. Als Beispiele führt der Architekt die Renaturierungsarbeiten entlang der Limmat inZürich, denungehinderten Seezugang durch die Pärke sowie die Bäder an der Aare in Bern an. In Genf bleiben Hunderte Meter der Quais durch Steinschüttungen oder Mauern versperrt. Etliche Genferinnen und Genfer empfinden den Bau des Strandes von Eaux-Vives allerdings als ein Sakrileg, da ihm ungefähr zwei Hektaren der Seefläche zum Opfer fallen – bei ge- schätzten Gesamtkosten von 67 Milli- onen Franken. Dies «für eine Bade­ saison, die von Juni bis September dauert», kritisiert Bernard Lescaze. «Ja, wir verlieren einen Teil des Sees, aber der Kanton kompensiert dies, indem er mit dem Wassergarten die Arten- vielfalt erhöht und Renaturierungen an anderen Orten imKanton fördert», entgegnet Franck Pidoux. Ein Strand, der das Seebecken komplett verändert Das Projekt des Strandes von Eaux-Vives, das vom ehemaligen Ständerat und Umweltschützer Robert Cramer vorangetrieben und vom WWF mit einer Einsprache verzögert wurde, hat seinen Ursprung in einer in den 1990er-Jahren lancierten Studie. «Das Projekt Fil du Rhône betrachtete damals die Flussufer aus der Sicht des öffentlichen Raums und sah Ein- griffe durch Architekten, Ingenieure und Künstler vor», fasst Marcellin Barthassat zusammen. Für Cramer ging es einerseits darum, auf die Société Nautique zu reagieren, die ihren privaten Club vergrössern wollte. Anderseits wollte er den Seezugang für alle sicherstellen. Und schliesslich ging es ihm darum, die dem Jet ’d Eau nachgelagerten Quais neu zu ge­ stalten. Diese hatten sich unkontrolliert entwickelt. Das Projekt gab schliesslich den Anstoss für einen Ideenwettbewerb. Der erste Wettbe- werbsgewinner schlug rund um das Seebecken kleine Inseln nach dem Vorbild der Bains des Pâquis vor, die den Zugang zum Wasser begünstigten. Der zweite sah Seezugänge für Fussgänger vor. Nun werden auf jeden Fall Teile der alten Quais, des alten Hafens und der historischen Gewerbe – Fischerei und Schiffbau – verschwinden. Dies enttäuscht manche Genferin, machen Genfer. «Was wird aus dieser Leere? Müssen Sozialarbeiter zur Belebung der Quais angestellt werden? Das ist noch offen», sagt Marcel- lin Barthassat. (SH) 200m Erweiterung des Jachtclub-Hafens (400 Plätze) Neuer Hafen (226 Plätze) Buvette Haus der Fischer Passerelle Anlegestelle fürBeiboote Strand Genfersee Strand Port-Noir Quai Gustave-Ador Parc La Grange Parc des Eaux-Vives Baby- Strand

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