Schweizer Revue 4/2019
Schweizer Revue / Juli 2019 / Nr.4 17 Literaturserie Im Reich aber blieb dem aus Helvetien importierten Polit-Lyriker die Gunst des Führers bis fast zuletzt erhal- ten. Als der Krieg begann, nahmer in Uniforman den Feld- zügen in Frankreich, Belgien und Norwegen, später auch in Russland, teil: mit der einzigen Verpflichtung, seine Be- obachtungen in Versform zu publizieren. Erst als es mit dem Siegen zu Ende ging, zerstörte dieWehrmacht das ab- surde Lyrikeridyll und versetzte Anacker zu den Verwun- detentransporten. Aber die Katze lässt das Mausen nicht: Anacker überlebte seine Protektoren, und im Gefangenen- lager Ansbach dichtete er erneut drauflos und erlebte den Triumph, dass die GIs der Wachmannschaft sich von ihm handgeschriebene Gedichte erbaten, um sie als Kostpro- ben deutscher Dichtung nach Amerika zu schicken. Bis zu seinemTod am14. Januar 1971 lebte Anackermit seiner Frau Emmy, einer Bäckerstochter aus Zürich, in Wasserburg bei Lindau – nach wie vor gläubiger National- sozialist, den Blick auf die Schweiz jenseits des Bodensees gerichtet. Er dichtete unentwegt weiter unddiktierte seine Lyrikwie schon 1933 bis 1943 einer Sekretärin, die die fertig getippten Verse im For- mat DIN A5 einzeln in insgesamt zwölf eigens gefertigte Holzkisten ablegte, wo sie für die Ewigkeit aufbewahrt werden sollten.Wobei es genügte, ein oder zwei der Blät- ter in die Hand zu nehmen, um sich von der völligenWertlosigkeit der banalen und nach den ewig- gleichen vorgestrigen Schemen konstruiertenReimereien zuüber- zeugen. Die Schweiz aber tabui- sierte der «Lyriker der braunen Front» aus einem merkwürdigen Schamgefühl heraus bis zuletzt. Mit den Schweizer Frontisten und deren Anschlussideen hatte er je- denfalls nichts zu tun haben wol- len, denn laut seiner 1984 verstor- benenEhefrauwar die Schweiz für ihn seit je her «etwas Eigenes, das man nicht antasten soll». CHARLES LINSMAYER «Hätte Herr Anacker sich nur rechtzeitig bescheiden und seine Verse ausschliesslich einem privaten Mägdlein- Album anvertrauen mögen – er wäre als Dichter vollkom- men.» So urteilte 1924 der Journalist und Lyriker Siegfried Lang über den bei Sauerländer in Aarau erschienenen Ge- dichtband «Auf Wanderwegen». Und er hätte sich niemals vorstellen können, dass der angesehene Berliner Grote- Verlag 1937 einen Band mit dem Titel «Von Klopstock bis Anacker. Deutsche Gedichte aus zwei Jahrhunderten» edieren würde. Ebenso unvorstellbar muss für ihn gewe- sen sein, dass zwischen 1932 und 1943 mehr als 180000 Anacker - Lyrikbände in denHandel kommen und ihr Autor am Ende der auflagemässig erfolgreichste Schweizer Lyri- ker des 20. Jahrhunderts sein würde. SA-Mann und Dichter Des Rätsels Lösung heisst Nationalsozialismus, denn frus- triert über die Verrisse seiner sechs bis 1931 publizierten Gedichtbände – formal konventionelle Verse über Jugend, Liebe, Natur und Wanderschaft –, entdeckte der am 29. Ja- nuar 1901 inAarau geborene Fabrikantensohn, dass er bloss Adolf Hitlers Botschaft in Marschrhythmus zu setzen brauchte, um Tausende von begeisterten Fans zu finden und von den Nazi-Bonzen mit dem Bekenntnis eines neu- tralen Schweizers zu ihrer reaktionären Ideologie jede nur erdenkliche Förderung zu erwirken. In rotes Leinen gebun- den, erschienenAnackers Verse imparteieigenen Eher-Ver- lag, und ab 1932 zogen Hitler-Jugend und SA-Verbändemit Anacker-Trutzliedern wie «Die Strasse dröhnt vom Eisen- tritt» oder «Nun erst recht!» in die Städte und Dörfer ein. Höhepunkt war die Verleihung des «Preises der NSDAP für Kunst» auf dem Nürnberger Reichsparteitag 1936 und die Laudatio von Alfred Rosenberg, der verkündete: «Als ein Sänger unserer Zeit hat Anacker immer wieder die Geister angefeuert und in stets sich erneuernder Leidenschaft starke Lieder unserer Sehnsucht gesungen.» Angesichts solcher Protektion zog es die Schweizer Kritik, der die sentimentalen Anfänge des Naturbewegten ein Dorn im Auge gewesen waren, vor zu schweigen, und das peinliche Problem löste sich schliesslich von selbst, als Heinrich Anacker und seine Frau Emmy, geborene Bofin- ger, am 11. Dezember 1939 auf eigenen Wunsch aus dem Aarauer und Schweizer Bürgerrecht entlassen wurden. «Starke Lieder unserer Sehnsucht» Hitlers braune Horden zogen 1933 mit Kampfliedern des Aarauer Fabrikantensohns Heinrich Anacker in die deutschen Städte ein. «Städte hab’ ich durchwandert, gross und klein. Keine gab mir, o Zürich, Heimat wie du, keine liess mir des See’s blaue Bucht so als göttliches Friedensgeschenk erscheinen. Viele fremde Städte noch winken mir, Mancher fremde Brunnen noch wird mich laben. Aber im Innersten werde ich Heimweh haben, Stadt meiner Seele, du schönes Zürich, nach dir!» (Heinrich Anacker: «Zürich», aus «Bunter Reigen», Aarau, 1931, vergriffen)
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