Schweizer Revue 4/2019

Schweizer Revue / Juli 2019 / Nr.4 18 Politik SUSANNE WENGER Diese Art der Stimmabgabe öffne Manipulationen Tür und Tor, sagten die Zweifler. Ganz zu schweigen von den mög- lichen negativen Auswirkungen auf den demokratischen Prozess. Das Gegenteil sei richtig, erwiderten die Befür- worter. Der neue Stimmkanal erleichtere die Teilnahme und werde die Stimmbeteiligung erhöhen. Nein, diese Argumente entstammen nicht der aktuellen Debatte über E-Voting. Vielmehr tönte es vor 25 Jahren so. Damals führte die Schweiz das Abstimmen per Brief ein. Inzwischen hat sich dieser Weg etabliert. 80 bis 90 Prozent der Stimmen- den nutzen ihn jeweils. Nur noch eine Minderheit begibt sich persönlich ins Stimmlokal, umden ausgefüllten Zettel in die Urne zu werfen. Dafürwird jetzt ähnlich leidenschaftlichüber einendrit- ten Kanal gestritten: wählen und abstimmen amComputer. Die elektronische Stimmabgabe ist vor allem der Fünften Schweiz einAnliegen. 174000Auslandschweizerinnenund -schweizer sind derzeit im Stimmregister eingetragen. Bis 2021 müsse E-Voting ihnen allen zur Verfügung stehen: das forderte die Auslandschweizer-Organisation (ASO) in ihrer 2018 eingereichten Petition. Abstimmen per Mausklickwar bis vor kurzem in zehn Kantonen möglich. Doch lediglich einTestbetrieb ist erlaubt. Unddabei bleibt es vorläufig, wie kurz vor Drucklegung der «Schweizer Revue» bekannt wurde. Der Bundesrat verzichtet im Moment auf eine ur- sprünglichgeplanteGesetzesänderung,mit der E-Voting für alle Stimmberechtigten imIn- undAuslandhätte eingeführt werden können. Grund für den Kurswechsel: Bei den politi- schen Parteien wuchsen die Bedenken. Und mehrere Ent- wicklungen führten dazu, dass sich die Diskussion in letz- ter Zeit verschärfte. Sicherheit vor Tempo Für die Landesregierung liegen die Vorteile des E-Votings zwar auf der Hand: Auslandschweizer können zuverlässig anAbstimmungen undWahlen teilnehmen, Stimmberech- tigte mit Behinderung ihr Votum autonom abgeben. Für die Skeptiker, aber auch fürmanche Befürworter von E-Vo- ting, müssen jedoch zuerst System-, Sicherheits- und Fi- nanzierungsfragen geklärt sein. Für Beunruhigung sorgt, dass der PionierkantonGenf das von ihmentwickelte E-Vo- ting-Systemaus Kostengründen eingestellt hat. Sechs Kan- tone wandten es an. Sie müssen jetzt eine andere Lösung suchen. Mit Genf verschwindet zudemder letzte staatliche Anbieter. Selbst für viele Befürworter des E-Votings gehört dieses aber in die Hand des Staates. Diese Forderung ist beim einzigen nun verbliebenen E-Voting-System, jenem der Schweizer Post, nicht erfüllt: Programmiert wird es un- ter anderem von einer spanischen Firma. Für die Abstim- mung vom19. Mai wurde das Post-Systemübrigens aus dem Verkehr gezogen: Externe Experten hatten bei Tests Schwachstellen bei der Sicherheit entdeckt. «Risiko für die Demokratie» Jetzt brauche es einenMarschhalt, wird von verschiedenen Seiten gefordert. Seit dem Frühling sammelt eine breite Allianz von den linksstehenden Grünen bis zur rechtskon- servativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) Unterschrif- ten für eine Volksinitiative. Diese will E-Voting für fünf Jahre verbieten. Eine spätere Einführung wäre gemäss In- itiativtext möglich, aber mit strengen technischen Vorga- ben. Nicht nurmüsste der Schutz vorManipulation genauso wie beim handschriftlichen Verfahren gewährleistet sein. Die Initianten fordern auch, dass die Stimmberechtigten diewesentlichen Schritte der elektronischen Stimmabgabe «ohne besondere Sachkenntnisse» überprüfen können. «Die Urnen- und die Briefwahl verstehen alle», sagt der Luzerner Jungfreisinnige Nicolas Rimoldi, Kampagnen­ leiter der Initiative, «E-Voting hingegen wird nur von we- nigen Spezialisten verstanden.» Das sei undemokratisch. Er E-Voting imGegenwind Elektronisches Wählen und Abstimmen ist Auslandschweizerinnen und -schweizern ein Anliegen. Doch in der Schweiz wachsen die Bedenken gegenüber dem digitalen Stimmkanal. E-Voting am Beispiel des Genfer Systems: Ganz papierfrei ist es nicht, denn der Code fürs Wählen kommt per Post. Foto Keystone

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