Schweizer Revue 4/2019

Schweizer Revue / Juli 2019 / Nr.4 3 Ornithologe bin ich nicht. Aber ich mag Vögel. Am liebsten die frei fliegenden und nicht jene im Käfig. Einem Vogel bin ich kürzlich zum allerersten Mal begegnet, frühmorgens, in den bernischen Voralpen. Ein lauter, merkwürdig kullernder Klang beendete die Stille.Waswar das? Auf einer nahenAnhöhe zeigte sich dann – ein stolzer Birkhahn, Lyrurus tetrix. Bläu- lich-schwarz glänzte sein Prachtsgefieder, weiss leuchteten die Schwanzfedern, rot der Kamm. Er beschallte den weiten Talkessel mit seinem Ruf. Dann flog er auf und davon. Für mich war es ein Glücksfall. Das Tier wird als potenziell gefährdete Art auf der Roten Liste geführt und ist auf der Nordseite der Schweizer Alpen so rar geworden, dass ich nicht damit rechnen durfte, seinen Weg zu kreuzen. Es ist nicht neu: Die Artenvielfalt ist auch in der Schweiz arg unter Druck. Mit geschützten Tieren beschäftigte sich derzeit auch das schweizerische Parlament. Es will bisher streng geschützte Tierarten zum Abschuss frei­ geben. Noch wird über die Frage gestritten, obWolf und Biber neu ins Visier genommen werden dürfen – oder doch eher Wolf und Luchs. Vorgeschlagen wurde im Zuge der Debatten auch, den Schutz des Graureihers, des Gänse- sägers und der unscheinbaren Waldschnepfe zu lockern. Auch unser Birk- huhn bereicherte den Disput. So wurde imStänderat die Frage aufgeworfen, warum der Bund gefährdete Spezies – unter anderem eben das Birkhuhn – auf die Rote Liste setzt und dann gleichzeitig deren Dezimierung erlaubt. Erst schützen, dann dezimieren: Das ist natürlich eine grobe Zuspitzung. Aber nicht nur: Je widersprüchlicher etablierte Politik erscheint, desto un- verständlicher wirkt sie für Aussenstehende. Vielleicht trägt genau dies dazu bei, dass derzeit Schülerinnen und Schüler zu Tausenden auf die Strasse ge- hen. Sie fordern dort lautstark eine konsequente Klimapolitik, denn nur so lasse sich ein fataler Verlauf des Klimawandels abwenden. Der bisherigen Politik trauen sie offensichtlich wenig zu. Ornithologisch betrachtet lässt sich sagen: An Streiktagen klingt es in den Innenstädten wie in einer lärmigen Voliere. Aber die alten Hasen im politi- schen Betrieb reagieren zunehmend auf das jugendliche Gezwitschere: Die meisten Schweizer Parteien sind angesichts der nahendenWahlen imBegriff, sich selbst eine Grünfärbung zu verpassen. Grund genug für die «Schweizer Revue», genauer hinzuhören und der Frage nachzugehen: Wie ticken eigent- lich die jungen Menschen, die da vorab marschieren (Seite 6)? MARC LETTAU, CHEFREDAKTOR Editorial 5 Briefkasten 6 Schwerpunkt Tausende Jugendlicher fordern eine konsequente Klimapolitik 11 Kultur Schweizer Käse mag Hip-Hop 12 Gesellschaft Die Stadt Genf rückt näher an ihren See Premiere: Das Oberste Gericht annulliert eine Volksabstimmung 14 Politik Klarer Fall: Die Schweiz verschärft ihr Waffenrecht Dauerthema: Das Ringen um die Altersrenten ist nicht zu Ende 17 Literaturserie Heinrich Anacker? Der Schweiz ist ihr «erfolgreichster» Lyriker peinlich 18 Politik / Wahlen 2019 Dem E-Voting bläst ein kühler Wind entgegen Bei der Parteienfinanzierung herrscht wenig Transparenz 22 ASO-Informationen 26 news.admin.ch Wissenswertes zu den nahenden Parlamentswahlen 28 Gesehen Die monumentalen Bilder des Künstlers Franz Gertsch 30 Gelesen / Gehört 31 Herausgepickt / Nachrichten Inhalt Ornithologische Beobachtung Titelbild: Die jugendliche Klimaaktivistin Wirada Läderach während einer Kundgebung in Bern. Foto Danielle Liniger

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