Schweizer Revue 4/2019

Schweizer Revue / Juli 2019 / Nr.4 30 Noch keine zehn Jahre ist es her, da schim- merte die Vergangenheit des Zürcher Kam- merorchesters (ZKO) im schönsten Licht. Die Zukunft aber lag vermeintlich im Dunkeln. Noch 2015, als Roger Norrington als Principal Conductor das Orchester bereits vier Jahre lang zu Höchstleistungen vorangetrieben hatte, merkten nicht viele Zürcher, was sich da Prächtiges zusammengebraut hatte. Eigenartig, denn das ZKO war damals der zeitgemässe Richtigmacher unter den Schweizer Orchestern. Und als dann Norring- ton eines schönes Abends in den Saal trat und sagte «Das wars!», erlebte das ZKO indirekt seinen Urknall. Alles war angerichtet, es brauchte nur noch jene neue Leitung, die sagte: «Jetzt hebenwir ab!» ImHerbst 2016war siemit demGeiger Da- niel Hope gefunden: weltberühmt, ambitioniert, einMusiker, dermit dem Publikum über viele Kanäle kommuniziert. CD-Aufnahmen gehörten für diesen Künstler zum Geschäft wie das Verbeugen nach dem Konzert. Kaum hatte das ZKO die Instru- mente das erste Mal gestimmt, standen die Mikrofone bereit. Die Auszeichnungen für die Taten folgten auf dem Fuss. Etwa für die CD «For Seasons». Zuerst ist es nur eine überaus muntere Einspielung der «Vier Jahreszeiten» von Vivaldi. Dann aber beginnt für Hope und sein Orchester das Jahr von vorn, und man begibt sich auf eine zwölf­ teilige Reise durch zwölf Monate mit Musik, die vom frühen 18. Jahr- hundert bis in die Gegenwart reicht und in Fotografien und Bildern eine Fortsetzung findet. Gemässigter ist die CD «Bach&Sons 2». Angeführt vomdeutschen Pianisten Sebastian Knauer zeigt sich das ZKO als motivierte Barock- formation: Klavierkonzerte von J. S. Bach werden kombiniert mit solchen seiner Söhne Johann Christian und dem genialisch-ver­ spielten Carl Philipp Emanuel. Die schönste ZKO-CD ist «Journey to Mozart», in der Hope die Luft rund umMozart beschnuppert. «Diese CD ist eine Reflexion der Zeit durchmeine Augen gesehen undmeine Ohren gehört», sagt er. Hope spielt und dirigiert Werke von Gluck, Myslivecek, Solomon undMozart. Auch der grosseHaydn istmit dabei. «Haydns G-Dur-Konzert ist ein Juwel», schwärmt Hope, «jenes von Mozart aber eineOffenbarung. Haydn bleibt auf demBoden der Schön- heit, Mozart hebt ab.» Wie das Zürcher Kammerorchester. CHRISTIAN BERZINS DieHauptfigur des Romans «Wildwie dieWel- lendesMeeres» ist die scheue und eigenwillige Ava. Während des Studiums der Naturwissen- schaften reist sie für ein Praktikum in ein Naturschutzgebiet in Schottland. Sie braucht Distanz zu ihremFreund, demPolizisten Paul, der zuhause in der Schweiz bleibt. Ava will sich aus den Zwängen befreien und gleich­ zeitig ein Kindheitstrauma überwinden. Die Geschichte im Buch spielt auf zwei Ebenen. Einerseitswird in der erzählerischen Gegenwart Avas Aufenthalt in Schottlandmit den eindrucksvollen Schilderungen der Natur und ihrer Leidenschaft für die Vogelwelt be- schrieben. Sie lernt Einheimische kennen und es entstehen tiefe Freundschaften. Anderseits wird die Vergangenheit rückwärts erzählt. Hier erfährt der Lesermehr über ihr Trauma, dasmit dem frühen Tod ihrerMutter verbunden ist, und dem darauffolgenden Aufwachsen in der Pflegefamilie, zu der auch Paul gehört. Die beiden verlieben sich ineinander und ziehen zu- sammen, doch Ava wird es eng in der Beziehung. Während ihres Aus- landsaufenthaltes sucht der zurückgebliebene Paul nach den Ursa- chen ihres Traumas. Als Ava auf einer einsamen Wanderung in der schottischen Berg- welt verunfallt, reist Paul zu ihr. Sie liegt schwerverletzt imKranken- haus und er erfährt, dass Ava von ihmschwanger ist. Es folgen Wochen des Bangens, denn Ava liegt imKoma. Die junge Autorin Anna Stern ist eine äusserst talentierte New­ comerin der Schweizer Literaturszene. Ihren vorliegendenRoman hat sie mit den zwei Erzählebenen geschickt komponiert. Eingestreute Fotos, Skizzen und handschriftliche Einträge illustrieren die Ge- schichte und lassen sie wie einen authentischen Bericht erscheinen. Das Buch zieht den Leser in seinen Bann. Es liest sich leicht, obwohl eine grosse Anzahl von Nebenfiguren auftreten. Der Erzählstil ist nüchtern, mit den naturwissenschaftlichen Exkursen manchmal etwas gar ausführlich. Hingegen erzeugt die Beschreibung der Land- schaft und Natur von Schottland im Leser eine ganz besondere Stim- mung. Und warum nicht einmal ein unerwartetes, fast sentimenta- les, Happy End? Anna Stern, geboren 1990 in Rorschach, studierte Umweltnatur- wissenschaften und doktoriert derzeit am Institut für Integrative Bio- logie der ETH. Veröffentlicht hat sie bereits zwei Romane und einen Erzählband. 2018 erhielt sie den Förderpreis der St. Gallischen Kul- turstiftung undwar Gewinnerin des 3sat-Preises an den 42.Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt. RUTH VON GUNTEN Ein Kammerorchester hebt ab Ava und Paul Gehört Gelesen FOR SEASONS: Deutsche Grammophon, 2017 BACH & SONS 2: Berlin Classics, 2017 JOURNEY TO MOZART: Deutsche Grammophon, 2018 Anna Stern: «Wild wie die Wellen des Meeres» Salis-Verlag, 2018 320 Seiten; CHF 32.00, € ca. 24.00

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