Schweizer Revue 5/2019
Schweizer Revue / September 2019 / Nr.5 10 Politik THEODORA PETER Seit nunmehr neunMonaten liegt der Entwurf eines institutionellen Rah- menabkommens auf dem Tisch, mit demdie Schweiz und die Europäische Union (EU) die Fortsetzung des bila- teralen Wegs regeln wollen. Obwohl das Vertragswerk mit dem wichtigs- ten Handelspartner für die Schweiz eine enorm wichtige Bedeutung hat, hüllte sich der Bundesrat lange in Schweigen. Erst nach monatelangen Konsultationen der wichtigsten Ak- teure im Inland bezog die Landesre- gierung vor den Sommerferien erst- mals Stellung. Die Schweiz könne den Vertrag in dieser Form nicht unter- zeichnen, erklärte der Bundesrat im Juni. Nötig seien «Präzisierungen» in den strittigen Punkten. Den Begriff «Nachverhandlungen» vermied der Bundesrat in seiner Stellungnahme an den EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker bewusst, denn solche hat die EU bislang kategorisch ausgeschlossen. Konkret geht es um drei Punkte, die der Bundesrat in der vorliegenden Form nicht als mehrheitsfähig erach- tet, weil sie innenpolitisch auf grossen Widerstand stossen: der Lohnschutz, die staatlichen Beihilfen und die Uni- onsbürgerrichtlinie («Schweizer Re- vue» 2/2019). Beim Lohnschutz will der Bundesrat erreichen, dass das Schweizer Lohnniveau garantiert wird. Bei den staatlichen Beihilfen will er sicherstellen, dass die Schweiz entsprechende EU-Regeln nur dort anwenden muss, wo ein vertraglich abgesicherter Zugang zum EU-Bin- nenmarkt besteht. Drittens soll das Rahmenabkommen nicht so interpre- tiert werden, dass die Schweiz zur Übernahme der Unionsbürgerrichtli- nie gezwungen werden könnte. Mit der Unionsbürgerrichtlinie regeln die EU-Staaten gegenseitig die Aufent- haltsrechte ihrer Bürger in anderen Mitgliedstaaten, wozu auch Leistun- gen wie die Sozialhilfe gehören. Lösung kaum in Juncker-Amtszeit Fraglich ist, ob diese strittigen Punkte tatsächlich nur mit «Präzisierungen» in denVertragsdokumenten zu regeln sind oder ob es neue Verhandlungen braucht. Dafür wird die Zeit jedoch langsamknapp: EndeOktober trittdie amtierende EU-Kommission unter Jean-Claude Juncker ab, die den Rah- menvertrag mit der Schweiz ausge- handelt hatte. Bundespräsident Ueli Maurer (SVP) liess Anfang August ver- lauten, er erwarte nicht, dass bis zum Ende der Juncker-Amtszeit eine Lö- sung gefunden wird. Aber auch mit der neuen EU-Kommissionspräsiden- tin Ursula von der Leyen dürfte das Verhandeln nicht einfacher werden. Doch die Schweiz habe Zeit «und wir brauchenZeit für eine Lösung, die der Schweiz dient», sagte Maurer, dessen Partei die Personenfreizügigkeit ganz aufgeben möchte. Die SVP-Initiative für eine «massvolle Zuwanderung» ist zustande gekommen und wird vor- aussichtlich in der Herbstsession im Nationalrat debattiert. Zum Lohnschutz lag bei Redakti- onsschluss noch keine mehrheits fähige Schweizer Position vor. Der Bundesrat hatte die Gewerkschaften und die Arbeitgeber beauftragt, über Spielen auf Zeit Der Bundesrat will den Rahmenvertrag der Schweiz mit der Europäischen Union erst unterzeichnen, wenn strittige Punkte geklärt sind. Das könnte noch länger dauern. Fraglich ist, ob sich die neue EU-Kommission gegenüber Bern flexibler zeigen wird. Bislang hat das Zeitspiel der Schweiz kaum geschadet. Bundespräsident Ueli Maurer: Muss für ein Rahmenabkommen einstehen, das seine Partei, die SVP, grund- sätzlich in Frage stellt. Die neue EU-Kommis- sionspräsidentin Ursula von der Leyen: Darf sich gegenüber der Schweiz kaum flexibel zeigen, weil der Brexit die EU zu Härte gegenüber Nicht-EU-Staaten zwingt.
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