Schweizer Revue 5/2019
Schweizer Revue / September 2019 / Nr.5 15 Mettan. Apropos Grössenordnung: Wer die Tunnel und Bahnhöfewährend der Bauphase besuchte, staunte ob den Dimensionen. «Die Bahnhöfe Lancy Pont-Rouge und Eaux Vives haben Perrons von 320 Metern Länge. Sie sind riesig, einfach gigantisch!», begeistert sich Vincent Kaufmann. Schwachstellen auf französischer Seite «Für Genf als Stadtkanton ohne wirkliches Umland war es schwierig, den Massstab des eigenen Denkens so sehr zu verändern. Mit der S-Bahn verlassen wir die Grenzen des Kantons», sagt GuyMatton. Mobilitätsexpertenwarnen in- dessen vor Schwachstellen, die das SystemzumEntgleisen bringen könnten. Der Léman Express wird von Mechani- kern aus der Schweiz und Frankreich gewartet und mit Schweizer Zügen von Stadler und französischenZügen von Alstom befahren. Diese Mischung ist eine potenzielle Pro- blemquelle. Auch Verzögerungen beim Bau der französi- schen P+R-Anlagen könnten zunächst verhindern, dass Pendler auf Züge umsteigen. Das Schienennetz der SNCF ist zudemveraltet: «An einigen Stellen ist keineDoppelspur vorhanden, und die Weichen werden manuell bedient. Im Falle einer Störung könnte es zu Verspätungen auf dem gesamten Netzwerk kommen», befürchtet Vincent Kauf- mann. Als missglückte Erfahrung nennt der Spezialist das Basler S-Bahn-Netz: Dort müssen die Passagiere beim Grenzübertritt den Zug wechseln. neuesMobilitätsgesetz sieht vor, demöffentlichenVerkehr im Stadtkern und in anderen wichtigen Stadtknotenpunk- ten Vorrang einzuräumen. Der Gesetzestext ist ein Kom- promiss, denn Genf hat in seiner Verfassung den Grund- satz der Komplementarität des öffentlichen und privaten Verkehrs verankert. Die Stadt ist ausserdem verpflichtet, jeden Verlust von Parkplätzen auszugleichen. Durch diese Regelung ist das Chaos an zentralen Orten der Stadt über- haupt erst entstanden. Anreiz bieten, das Auto in der Garage zu lassen Der Streit in Sachen Parkplätzen ist in Genf heftig. Derzeit zahlen lediglich 40 bis 50 Prozent der Nutzer fürs Parkie- ren. Etliche Pendler parkieren unrechtmässig und nehmen dafür Geldbussen von 40 Franken in Kauf – als wärs ein günstiger Parktarif. Der Kantonwill nun hier die Schraube fester anziehen und nimmt auch Firmen ins Visier, die ihrem Personal Gratisparkplätze anbieten. Genf mangelt es heute an Fussgängerzonen. Dank der Inbetriebnahme des Léman Express könnten «mehrere kommunale Projekte, die eine Umwandlung von Strassen und Plätzen imStadtkern in Fussgängerzonen oder die Ein- führung eines Vortrittsrechts für Fussgänger vorsehen», verwirklicht werden, sagt YannGerdil-Margueron des kan- tonalen Verkehrsamts. Laut Vincent Kaufmann ist das aktuelle politische und soziale Umfeld günstig für verkehrspolitische Veränderun- gen. Seine Beobachtung: «Die CVP hat ihreMeinung zu den Verkehrsfragen geändert. Dadurch hat sich das politische Gleichgewicht verschoben. Auch die grüne Welle und die Sorgen um den Klimawandel müssen berücksichtigt wer- den.» In der Vergangenheit waren Linke und Rechte in der Mobilitätsfrage stets stark gespalten. Die Wahl der Genfer fiel aufs Auto Genf befreit sichmit dem Léman Express aus einer langen Gefangenschaft. Vor 1914bestand inderRegioneinSchienen netz von 125 Kilometern Länge zwischen der Schweiz und Frankreich. «Bis zur Verwirklichung des CEVA-Projekts, einer Bahnverbindung zwischen Annemasse und Genf, dauerte es über ein Jahrhundert. Grund waren insbeson- dere die beidenKriege, die zur Schliessung der Grenzen bei- trugen. Nach 1945 entschied sich Genf für das Auto», fasst der Genfer CVP-Grossrat Guy Mettan zusammen. Der ehe- malige Journalist hat sich für die Ergänzung dieses fehlen- den Verbindungsglieds zwischen den beiden Ländern ein- gesetzt, das bereits in einem 1912 unterzeichneten Abkommen vorgesehen ist. «Die Umsetzung hat sich lange verzögert. In Anbetracht der gewaltigen Grössenordnung wurde das Projekt dann jedoch rasch abgeschlossen», sagt Ein Zug alle zehn Minuten und 45 Bahnhöfe Der Léman Express bedient auf einem Streckennetz von 230 Kilometern 45 Bahnhöfe in Frankreich und in der Schweiz. Er wird mit 40 Zügen betrieben. Wochentags fährt alle zehn Minuten ein Zug in jede Richtung. Mit sechs Linien kann die S-Bahn täglich 50 000 Passagiere befördern. Sie verbindet die neuralgischen Punkte der Stadt und des Kantons: den Bahnhof Cornavin, den Flughafen Cointrin und das Kantonsspital. Auch die Quartiere auf beiden Ufern werden miteinander verbunden. Das Netz bietet überdies eine Anbindung an den ausserregionalen Verkehr. Passagiere können dank der Züge des Regio Express ab Eaux-Vives oder Lancy Pont-Rouge nach Lausanne oder Martigny reisen. (SH)
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