Schweizer Revue 5/2019
Schweizer Revue / September 2019 / Nr.5 22 Wirtschaft STEPHANE HERZOG Das Internet hat bereits mehrere Re- volutionen erlebt. Eine davon war die Erfindung des TCP/IP-Protokolls: Es bildete letztlich die Voraussetzung für die Entwicklung desWorldWideWeb im Jahr 1989. Nun läuten Blockchains eine neue Ära ein. «Man kann sie mit der Erfindung der Mathematik nach der Erfindung der Schrift vergleichen», sagt Shaban Shaame. Der 38-jährige CEO des Genfer Start-ups Everdream- Soft hat eine eigene Blockchain ge- schaffen und in die Entwicklung von Videospielen integriert. Eine Blockchain ist ein Register, das auf mehreren Rechnern gespei- chert wird. Jede Änderung an diesem «Genom» muss von allen Teilnehmen- den validiert werden. Die Technologie gilt daher als praktisch fälschungs sicher. Internetnutzer können damit ohne Umweg über Dritte Informatio- nen,Waren undDienstleistungen aus- tauschen. Verträge lassen sich mit- hilfe von «Tokens» in der Blockchain speichern und Geschäfte werden in digitalenWährungen bezahlt. «Dieses System macht Dienste wie Uber im Grunde überflüssig», sagt Vincent Pig- non. Denn: Die Blockchain stellt eine direkte Verbindung zwischen Kunde und Fahrer her, ohne dass eine kosten- pflichtige App notwendig ist. Pignon, ein Spezialist für Technologie und Finanzen, hat Wecan gegründet, ein Genfer Blockchain-Start-up. In Wirklichkeit gibt es weltweit nicht eine Blockchain, sondern Tau- sende. Ihre Eigentümer, etwa die Stif- tung Ethereum, liefern sich ein Ren- nen um die Technologieführerschaft: Ihr Protokoll soll das am weitesten verbreitete werden. Dabei zeigt sich, dass in der Schweiz die auf diesemGe- biet tätigen Unternehmen florieren. 2018 erklärte der damals für Wirt- schaft verantwortliche Bundesrat Jo- hann Schneider-Ammann, er wolle aus der Schweiz eine «Blockchain-Na- tion» machen. Anders als die USA, die äusserst strenge Vorschriften erlassen haben, verabschiedete die Schweiz keinerlei einschränkenden Gesetze. Im Kanton Zug können die Bürger mit Bitcoin zahlen Mehrere Verwaltungen haben gute Rahmenbedingungen für die Block- chain-Technologie geschaffen. In der Stadt Zug zum Beispiel können die Bürger für Verwaltungsformalitäten mit der gängigsten Kryptowährung Bitcoin zahlen. 2014 fand in Zug mit der Lancierung von Ethereum und seiner digitalen Währung Ether die erste Kapitalbeschaffung für eine Blockchain statt. Im Klartext heisst das: Die Aktionäre investierten her- kömmliches Geld in das Projekt und erhielten im Gegenzug Ether-Coins. InGenf hat das Departement fürWirt- schaftsförderung einen Leitfaden zur Emission von Kryptowährungen und zu ihrer Besteuerung veröffentlicht. Facebook erkor die Stadt zum Sitz ihrer künftigen, bereits jetzt umstrit- tenen Kryptowährung Libra. «Face- book war der Auffassung, dass die an- deren Blockchains und ihre Währun- gen nicht schnell genug waren. Das Unternehmen will ein optimales Zah- lungs- und Geldtransfersystem für seine 2,3 Milliarden Benutzer schaf- fen», erklärt Vincent Pignon. Blockchain gibt Benutzern auf der ganzen Welt mehr Kontrolle Shaban Shaame begrüsst denVorstoss, den Facebook mit Libra wagt. Seine positive Einschätzung begründet er damit, dass Facebook die Verwaltung des Projekts einer Organisation anver- trauen will, an der mehrere Akteure – etwa PayPal und Visa – beteiligt sind. Zudem wird der Wert von Libra an einen Korb aus mehreren starken Währungen gebunden sein. Kern des Projekts Blockchain ist eben diese De- zentralisierung. Sein Ursprung ist Bit- coin, ein Protokoll, das 2008 von Cyberpunks als Reaktion auf die Finanzkrise geschaffen wurde. Sie wollten die Kontrolle über das aus dem Ruder gelaufene Finanzsystem wieder in die eigene Hand nehmen. Die Verbreitung der Blockchain Technologie wird nach Einschätzung von Shaban Shaame eine enormeWir- kung haben. Blockchain kann einfa- chen Benutzern auf der ganzen Welt mehr Macht geben. Sie sind nicht mehr auf Banken, Notare und Verwal- tungen angewiesen, umsich aktiv am Austausch und an derWertschöpfung zu beteiligen. Solche Verbindungen spielen sich nun in einemneuen recht- lichen und sozialen Raum ab. «Jede Blockchain bietet den Teilnehmenden ein politisches System, das sich bei- spielsweise durch soziale Regeln wie eine Steuer zur Finanzierung der Altersvorsorge auszeichnet», kann sich Shaame vorstellen. Gemeinsame Pro- Die Schweiz steht mitten imRennen um eine universelle Blockchain Eine Blockchain ist ein Verschlüsselungssystem, das ungeahnte Möglichkeiten zum Austausch im Internet eröffnet. Die Schweiz zeigt sich offen für diese Technologie und im Land herrscht ein reger Wettbewerb zwischen verschiedenen Blockchains und Kryptowährungen.
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