Schweizer Revue 6/2019

Schweizer Revue / November 2019 / Nr.6 10 Wissen MARC LETTAU Der an einer sonnigen Bergflanke der Gemeinde Guggisberg (BE) gelegene Weiler Ottenleuebad ist eines ganz sicher nicht: aufregend. Frühermag er es gewesen sein. So wurde 1886 hier ein Heilbad eröffnet, also eine leicht anrüchige Wellness- und Vergnü- gungseinrichtung. Aber die damals weitherum blühende und lustvolle Bäderkultur ist völlig verschwunden. Heute ists hier wieder maximal un­ spektakulär: ein paarwenige Bergbau- ernhöfe und Wochenendhäuschen, weidende Kühe, kreisende Greifvögel. Mal bellt ein Hund. Mal wandert ein Pilzsammler vorbei. Und am süd­ lichen Horizont thronen die Gipfel der bernisch-freiburgischenVoralpen: Gantrisch, Bürglen, Ochsen, Kaiser­ egg. Diese voralpine Bergwelt bildet den Naturpark Gantrisch. Raus mit der Sicherung Die einzige Auffälligkeit imOttenleue­ bad der Gegenwart ist die hoheDichte an kleinen Sternwarten. Inmondlosen Nächten wirkt die Gegend auf Ster- nengucker offensichtlich anziehend. Vermutlich wird sich diese anzie- hende Wirkung noch verstärken. Denn: Obwohl die Nächte hier schon bisher schön dunkel waren, sind sie seit dem 30. August 2019 noch eine Nuance dunkler. Damals schraubte der Guggisberger Gemeindepräsident Hanspeter Schneiter kurzerhand die elektrische Sicherung der spärlichen Strassenbeleuchtung von Ottenleue- bad heraus. Es war danach, wie man in der Gegend zu sagen pflegt, «dunkel wie in einer Kuh». Blickkontakt zur Milchstrasse Schneiter machte dunkel, weil der dünn besiedelten Randregion zuvor ein Licht aufgegangen war: Überall verschwindet die Nacht, nicht aber hier. Hier also sieht man in klaren Nächten dieMilchstrasse noch. In den Schweizer Ballungsräumen ist das nicht mehr möglich, weil allgegen- wärtiges Kunstlicht den Blick ins Universum verunmöglicht. Wo sie überhaupt noch existiert, wird somit nächtliche Dunkelheit zur Besonder- heit. Deshalb gelten jetzt wesentliche Teile des Naturparks Gantrisch als Sternenpark, als Gebiet, wo die Nacht verteidigt wird. Die Verantwortlichen des Natur- parks Gantrisch haben seit Jahren auf diesen allerersten schweizerischen Sternenpark hingearbeitet (siehe auch «Revue» 5/2016). Leicht sei dies nicht gewesen, sagt Projektleiterin Nicole Dahinden: «DenWert der Nacht muss man zuerst begreifen.» Jetzt aber freut sie sich über «das dunkle Herz» des Sternenparks, also die 100 Quadrat­ kilometer grosse Kernzone im von Bergen gut abgeschirmtenKerngebiet des Naturparks. Das Licht kommt von aussen Ein dunkles Herz bleibt nicht dunkel, wenn alle darum herum auf Illumi­ nation setzen. Das weiss auch Nicole Dahinden. Der Sternenpark, diese kleine schweizerische Dunkelkam- mer, kann aus eigener Kraftnicht noch dunkler werden: «Das Licht kommt Nur wer das Licht löscht, wird von Sternen erleuchtet Die Schweiz hat ihren ersten Sternenpark, ein Gebiet, in dem zur nächtlichen Dunkelheit besonders Sorge getragen wird. Das ist weit mehr als ein romantisches Projekt.

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