Schweizer Revue 6/2019

Schweizer Revue / November 2019 / Nr.6 16 Gesellschaft MIREILLE GUGGENBÜHLER Im Mai dieses Jahres schreckte die Schweizer Grossbank UBS die Sparerinnen und Sparer auf. Die Bank liess verlau- ten, ihre Kundinnen und Kunden erhielten künftig keinen Zins mehr auf ihre Sparguthaben. Das ist eine ganz neue Erfahrung, denn bis anhin wurden die Sparwilligen stets für ihre Bereitschaft belohnt, ihr Erspartes einer Bank als Kapital zu überlassen. Das Entgelt dafür war der Sparzins. Vor diesem Hintergrund habe der Entscheid der UBS Sym- bolkraft, sagt BenjaminManz, Geschäftsführer vonmoney- land.ch, dem Schweizer Vergleichsdienst für Banken und Versicherungen: «Null Prozent Zins bedeutet: Ich bekomme für meine Sparanstrengungen gar nichts mehr.» Aber nicht nur bei der UBS wirft Sparen keine Rendite mehr ab. Die Zinssätze sind bei allen Schweizer Banken auf rekordtiefem Niveau. Im Durchschnitt erhalten Bankkun- dinnen- und kunden für Einlagen auf Sparkonten noch führen dazu, dass Erspartes real an Wert verliert. «Sparen im herkömmlichen Sinn und gekoppelt an das Sparbüch- lein: Das lohnt sich nicht mehr», sagt Karl Flubacher vom VZVermögenszentrumBasel. Das beschäftige viele Schwei- zerinnenund Schweizer sehr: «Sparen ist ein grosses Thema in unseren Beratungen.» Was aber passiert mit der ausge- prägt schweizerischen Tugend, dem Sparen, wenn sich Sparen nicht mehr lohnt? Der sichere Job ist entscheidend Vermutung Nummer 1: Verlieren die persönlichen Erspar- nisse anWert, wird halt mehr konsumiert. Das stimme so nicht, sagt André Bähler, der Leiter Politik undWirtschaft bei der Stiftung Konsumentenschutz Schweiz. Ob Spare- rinnen und Sparer ihr Konsumverhalten änderten, sei in erster Linie von der Wirtschaftslage des Landes anhängig. Die Arbeitsplatzsicherheit wirke sich viel direkter auf das Konsumverhalten aus als tiefe Zinssätze. André Bähler: «Wenn ich weiss, dass ich morgen noch eine Stelle habe, dann verhalte ich mich als Konsument anders, als wenn meine berufliche Situation ungewiss ist.» Gleichwohl schiebt er nach: «Das heisst aber nicht, dass diemomentane Zinssituation nicht auch Emotionen und Reaktionen aus- löst.» Noch wenig Lust auf Alternativen VermutungNummer 2: Schweizerinnen und Schweizer set- zen angesichts der rekordtiefen Zinsen auf andere Formen des Sparens undAnlegens. BenjaminManz vonMoneyland macht klar, dass die Schweizer Durchschnittssparer nicht sehr experimentierfreudig sind: «Eine Umschichtung zu alternativenAnlagen imgrossen Stil hat bis jetzt nochnicht stattgefunden. Schweizerinnen und Schweizer sind risiko­ avers und wechseln in der Regel nur selten.» Für die Zu- kunftmag er eine Verhaltensänderung allerdings nicht aus- schliessen. Steckt mehr Geld unter der Matratze? Vermutung Nummer 3: Statt nach alternativen Anlagefor- men zu suchen, heben Schweizer Sparerinnen und Sparer vermehrt ihr Geld ab – und stecken es unter die Matratze. Ganz neue Zahlen zu dieser These gibt es zwar nicht. Aber Wer spart, bleibt ohne Zins Sparen ist eine urtypisch-schweizerische Tugend. Doch derzeit sind die Sparerinnen und Sparer alarmiert: Die Zinsen auf ihren Sparguthaben sind so tief wie noch nie. Erspartes wirft keine Rendite mehr ab. 0,05 Prozent Zins. Bei Privatkonten sind es lautMoneyland 0,00 Prozent (Stand September 2019). So tiefe Zinsen gab es in der Schweiz noch nie. «Das niedrige nominale und reale Zinsniveau ist historisch einzigartig», hält denn auch Peter Kugler, emeritierter Professor für Volkswirtschafts- lehre der Universität Basel, in einem Aufsatz in der Fach- zeitschrift «Die Volkswirtschaft» fest. Die äusserst tiefenZinsen, gepaartmit der Inflation und diversen Gebühren, die viele Banken eingeführt haben, Mit dem Sparkässeli wurde über Generationen die Nation zum Sparen erzogen: Historisch tiefe Zinsen machen es nun zum anachronistischen, musealen Relikt.

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