Schweizer Revue 6/2019
Schweizer Revue / November 2019 / Nr.6 22 Politik STÉPHANE HERZOG Weniger als 40% der Helvetier sind Wohnungseigentümer. Im Gegensatz dazu besitzen mehr als 50% der Fran zosen und gar 70% der Italiener ein Ei genheim. Die Lage ändert sich nur langsam. Die Eigentumsquote stieg von 34,6% im Jahr 1980 auf 38% im Jahr 2017. Zwar liegt der Hypothekar zins auf einemhistorischen Tiefstand. Gleichwohl ist der Zugang zu Wohn raum kein Honigschlecken. Die Mie ten in den Städten sind hoch, die Kauf preise abschreckend. So sind in der Genferseeregion monatliche Mieten von 2500 Franken und mehr für eine Familienwohnung nicht ungewöhn lich. Die Möglichkeiten für einen Um zug sind begrenzt, weil der Anteil leer stehender Wohnungen sehr tief liegt, wie etwa in Zürich (0,89%) oder Genf (0,54%). In Genf werden Wohnungen aus den 1980er-Jahren im Stockwer keigentum für über eineMillion Fran ken angeboten. Staatlich vergünstigte Wohnungen werden geradezu im Sturm genommen. Dies alles führte zur Volksinitia tive «Mehr bezahlbare Wohnungen», über die 2020 abgestimmt werden dürfte. Die vomSchweizerischenMie terinnen- und Mieterverbands lan cierte Initiative fordert vom Bund, «den Erwerb von Wohnungs- und Hauseigentum, das dem Eigenbedarf Privater dient» zu fördern. Der Kern gedanke der von der politischenRech ten abgelehnten Initiative ist, den Bau von gemeinnützigen Wohnungen zu begünstigen. Im März entschied der Ständerat fürs Erste, dieMittel für den gemeinnützigen Wohnungsbau um 250 Millionen Franken aufzustocken. Philippe Thalmann, Professor fürÖko nomie an der EPFL, ist Immobilien spezialist und ordnet imGesprächmit der «Schweizer Revue» das Thema ein. «Schweizer Revue»: Man sagt, die Schweizer träumen vom Eigenheim, aber leisten sich keines. Ist dies immer der Fall? Philippe Thalmann: Vier von fünf Schweizerinnenund Schweizern träu men vomeigenenHaus, das Bedürfnis ist jedoch nicht so stark wie in ande ren Ländern. Tatsächlich hat unsere Untersuchung 1) gezeigt, dass nur we nige deshalb an eine Bankherantreten. Woher diese Zurückhaltung? Wir beobachten, dass Menschen auf der Suche nach Wohneigentum sich gleichzeitig einen höheren Standard erhoffen. Sie stellen sich eine grössere Wohnung oder ein frei stehendes Haus vor. Wenn man ihnen ihre aktuelle Wohnung zu einembezahlbaren Preis zum Kauf anbieten könnte, würde dies vielleicht anders aussehen. In der Praxis bleibt der Traum von Wohnei gentum mit hohem Ausbaustandard zu einemPreis von einer Million oder mehr meist unerreichbar, während bezahlbare Angebote mit tieferem Standard fehlen. Wie steht es um den Zugang zu Wohnraum in der Stadt? Das Angebot an neuem, bezahlbarem Stockwerkeigentum (STWE) ist klein. Dasselbe gilt für STWE in Altbauten. Was die Mieten angeht: Sie beanspru chen im Durchschnitt 20% des Ein kommens, was akzeptabel ist. Ein Kauf bedeutet oft, die Stadt zu verlas sen und in ein Randgebiet zu ziehen. Der eigentliche Preis, denman also be zahlt, ist eine abgelegenereWohnlage. Dank den historisch tiefen Hypothekar zinsen sollte der Zugang zu Wohnraum doch einfach sein? Wennman eineMietemit einer güns tigen Hypothek vergleicht, ist ein Kauf auch bei einem teureren Objekt ein Vorteil. Hat man jedoch keinGeld geerbt, wird es schwierig, die Bedin gungen für einen Kredit zu erfüllen. 20 % Eigenkapital müssen einge bracht werden, und die Zinsen dür fen 30% des Einkommens nicht über steigen. Die theoretischen Zinsen für die Berechnung werden dabei von den Banken bei 5% festgesetzt, nicht bei den aktuellen 0,9%. Gleichzeitig können die Bauträger teurer verkau fen, je tiefer die Zinsen sinken. Die Vermieter wiederumhaben die tiefen Hypothekarzinsen kaum an die Mie ter weitergegeben. Also reichen die Anreize für den Kauf oder Verkauf einer Wohnung nicht aus? Immobilien werfen für Pensionskas sen und Privatpersonen Renditen ab. Diese Akteure vermieten ihr Eigen tumund verkaufen es nicht. Deshalb beträgt der Mieteranteil in der Schweiz zwei Drittel. In Frankreich Die Schweizer träumen von der eigenen Villa, mieten aber eine Wohnung Die Wohneigentumsquote der Schweiz bleibt tief. Die Hürden für einen Kauf sind hoch. Und das Verhältnis der Schweizerinnen und Schweizer zum Wohnen veranlasst sie nicht zu einer derart grossen Investition. Eine Volks- initiative fordert nun vom Bund, den Weg zum Eigenheim zu erleichtern.
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