Schweizer Revue 6/2019

Schweizer Revue / November 2019 / Nr.6 24 Politik THEODORA PETER In der Schweiz müssen sich homosexuelle Paare längst nicht mehr verstecken: Gleichgeschlechtliche Liebe stösst auf eine breite gesellschaftliche Akzeptanz. Trotzdem er- leben Schwule und Lesben immer wieder Anfeindungen oder gar gewaltsame Übergriffe. Für Schlagzeilen sorgte etwa der Fall eines schwulen Paars, das spätnachts mitten in Zürich von einer Gruppe junger Männer zusammenge- schlagen und als «Schwuchteln» und «Missgeburten» be- schimpft worden war. Die Organisation Pink Cross erhält nach eigenen Angaben pro Woche bis zu vier Meldungen über homophobe Übergriffe. Eine Statistik über Taten auf- grund der sexuellenOrientierung der Opfer existiert in der Schweiz nicht. Zudembleiben viele Übergriffe imDunkeln, weil die Betroffenen auf einen Gang zur Polizei verzichten. Kollektive Ehrverletzung heute kein Klagegrund Wer Hass gegenHomosexuelle sät, kann heute nur bedingt strafrechtlich verfolgt werden. Zwar kann jede Person, die persönlich verunglimpftwird, wegen übler Nachrede oder Verleumdung Anzeige erstatten. Der Ehrverletzungsarti- kel imStrafrecht kommt aber nicht zur Anwendung, wenn ganze Gruppen von einer Verunglimpfung betroffen sind, also zum Beispiel Schwule und Lesben generell. So durfte ein Appenzeller Lokalpolitiker der rechtsextremen PNOS auf FacebookHomosexuelle ungestraft als «demografische Deserteure» bezeichnen, ihnen «Pionierarbeit für Pädo- phile» unterstellen oder die «russische Lösung» propagie- ren (in Russland sind Schwule und Lesben Repressalien ausgesetzt). Eine Sammelstrafanzeige von Pink Cross we- gen Ehrverletzung blieb ohne Folgen. Der Staatsanwalt stellte das Verfahren mangels Rechtsgrundlage ein. Diese Lücke im Strafgesetz möchte der Wal- liser SP-Nationalrat Mathias Reynard mit der Ausweitung der Rassismus-Strafnorm auf die se- xuelleOrientierung schliessen. «Homophobie ist keine Meinungsäusserung und soll gleich wie Rassismus oder Antisemitismus als Delikt aner- kannt werden», betont Reyard. Die Rassismus- strafnorm, die Menschen vor Verunglimpfung aufgrund ihrer Rasse, Ethnie und Religion schützt, ist seit 1995 in Kraft. 2013 reichte Rey- nard eine parlamentarische Initiative einmit der Forderung, den Diskriminierungsschutz umdie Kategorie der «sexuel- lenOrientierung» auszuweiten. Damit stiess der Nationalrat bei seinen Kollegen auf offene Ohren. Die grosse Kammer wollte sogar nochweiter gehen und auch das Kriteriumder «Geschlechtsidentität» in die Bestimmung aufnehmen. Da- mit solltennebst Schwulenund Lesben auchBisexuelle und Transmenschen (LGBT) vorHasskriminalität geschütztwer- den. Das ging aber wiederum dem Ständerat zu weit: Die «Geschlechtsidentität» sei rechtlich nicht klar fassbar, was zuAuslegungsproblemen führenkönnte. Schliesslich einig- ten sich die beiden Kammern auf eine Ergänzung der Ras- sismusstrafnormumdie «sexuelle Orientierung». Christlich-konservativer Widerstand gegen «Zensurgesetz» Bei liberalen Juristen im Parlament herrschte grundsätz­ liche Skepsis gegenüber zusätzlichen Diskriminierungs- verboten. So gab der Appenzeller FDP-Ständerat Andrea Caroni zu bedenken, das Strafrecht sei «eine zu grobe Keule» für solche Fälle. Er berief sich auf dieMeinungsäusserungs- freiheit undwarnte davor, künftig auch noch Diskriminie- rung aufgrund der Sprache, der Nationalität oder des Geschlechts unter Strafe zu stellen. «Das hört nie auf.» Auch die «Neue Zürcher Zeitung» warnte in einem Kommen­ tar vor neuen Verboten und rief dazu auf, Schwulenhasser mit Zivilcourage und klarenWorten zu stoppen. Fundamentaler Widerstand gegen die Ausdehnung der Rassismus-Strafnormauf Schwule und Lesben kommt von der christlich-konservativen Partei EDU, der Jungen SVP und der Arbeitsgruppe Jugend und Familie. Ein ge- meinsames Komitee sammelte unter demSlogan «Nein zum Zensurgesetz» 67500 gültige Unterschriften für ein Refe- rendum. Deshalb wird die Vorlage nun am kommenden 9. Februar dem Stimmvolk zum Entscheid vorgelegt. Die Gegner kritisieren eine aus ihrer Sicht unverhält- nismässige Einschränkung der Gewissensfreiheit. EDU­ Präsident Hans Moser befürchtet, dass künftig Pfarrer ins Visier der Justiz geraten, «wenn sie biblische Wahrheiten zitieren». Für viele Freikirchen ist die gleichgeschlecht­ liche Liebe mit einem Leben getreu der Bibel unvereinbar. Sich mit Homosexualität öffentlich kritisch auseinander- Mit dem Strafrecht gegen homophobe Hetze Seit 25 Jahren kennt die Schweiz eine Strafnorm gegen Rassismus. Sie schützt Menschen vor Verunglimpfung wegen ihrer Rasse, Ethnie und Religion. Ob dieser Diskriminierungsschutz künftig auch für Lesben und Schwule gelten soll, darüber entscheidet das Stimmvolk am 9. Februar 2020 an der Urne. «Homophobie ist keine Meinungs­ äusserung», sagt SP-Nationalrat Mathias Reynard. Er hat die Gesetzes­ änderung initiiert.

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