Schweizer Revue 6/2019
Schweizer Revue / November 2019 / Nr.6 7 ihre Verluste aber womöglich heftiger ausgefallen. Ein In- diz dafür ist das sehr schlechte Abschneiden der Schweize- rischen Volkspartei (SVP) mit ihrem strikten Kurs gegen die «Klimahysterie». Sie verlor gar 12 Sitze, bleibt aber die stärkste politische Kraft im Land. Ihre Verluste sind nicht allein damit zu erklären, dass sie die Klimadebatte auszu- sitzen versuchte. Vielmehr fanden ihre KernthemenMigra- tion und EU deutlich weniger Gehör als vor vier Jahren. Zweitens: Nur ein bisschen linker SVP, FDP, CVP, SP: Abgestraft wurden am 20. Oktober alle vier inder Landesregierung vertretenenParteien. Hart trifft es die SP, die sich auch als ökologische Partei versteht, aber offensichtlich Stimmen an Parteien verlor, die den Begriff «Grün» im Namen tragen. Die in sozialpolitischen Fragen weit links politisierendenGrünenmachen die Verluste der SP zwar mehr als nur wett. Der Aufschwung der Grünlibe- ralen sorgt aber dafür, dass das neue Parlament primär deutlich grüner, nicht aber deutlich linker wird. Das könnte für die schweizerische Bundespolitik ent- krampfendwirken: Das Blockdenken – hier links, da rechts – verliert an Bedeutung. In Umweltfragen bilden die verein- ten grünen Kräfte künftig einen dritten Pol. Und die trotz Verlusten weiterhin starke Mittepartei CVP wird sich zwi- schen den Polen vermehrt aufs Schmieden von Kompro- missen fokussieren. Drittens: Unübersehbar weiblicher Nebst demKlima- beeinflusste auch der landesweite Frau- enstreik vom Juni den Ausgang derWahlen. Der Frauenan- teil imNationalrat steigt von 32 auf 42 Prozent, auch im in- ternationalen Vergleich ein Spitzenwert. Einen so grossen Sprung nach oben machte die Zahl der gewählten Frauen seit der Einführung des Frauenstimmrechts (1971) noch nie. Das hätten selbst die Initiantinnen der Aktion «Helvetia ruft» nicht zu hoffen gewagt (siehe Beitrag auf Seite 8). Viertens: Eine Nuance jugendlicher Deutlich grüner, markant weiblicher, eine Spur linker. Zu diesendrei Verschiebungen gesellt sich eine vierte: Viele der Neugewählten sind jung, das Durchschnittsalter der Ge- wählten sinkt. Zu verantworten haben dies unter anderem die erstmals teilnehmenden Jungwählerinnenund -wähler, die sich gemäss Nachwahlbefragungen herzlich wenig um die Verdienste arrivierter Nationalräte kümmerten: 30 Ab- gewählte jeder politischen Couleur sind die Folge. Promi- nenteGewerkschafterwieCorrado Pardini (SP, BE)müssen ebenso die Koffer packenwie Jean-François Rime (SVP, FR) undHans-UlrichBigler (FDP, ZH), dieAushängeschilder des Schweizerischen Gewerbeverbands. Fünftens: Die Fünfte Schweiz verstärkt den Trend Und dieWählenden in der Fünften Schweiz? Sie dürfen für sich in Anspruch nehmen, die grossen Trends verstärkt zu haben. Sie wählten nach ersten Erhebungen besonders grün. Jede vierte Stimme aus demAusland (25,2%) ging an die Grüne Partei. Die Grünen überholten damit in der Fünf- ten Schweiz sowohl die dort bis anhin stärkste Partei, die SP (17,1%) wie auch die SVP (17,8%). Der Ausfall des E-Votings liess übrigens die Stimmbe- teiligung der im Ausland domizilierten Schweizerinnen und Schweizer einbrechen. In Kantonen, die für die Wah- len 2015 den elektronischen Stimmkanal offerierten, gin- gen die Stimmen aus der Fünften Schweiz umbis zu einem Drittel zurück. In Genf sank die Beteiligung von 31,8 auf 21,4 Prozent, in Luzern von 32,1 auf 23,4, in Basel-Stadt von 26,0 auf 19,2, in Neuenburg von 29,7 auf 24,9 und im Thurgau von 28,5 auf 22,6 Prozent. Diese Zahlen dürften die Debatte übers E-Voting aufs Neue befeuern. Auch im Ständerat ein grüner Trend Offen blieb bei Redaktionsschluss, wie der Ständerat, die kleine Kammer des schweizerischen Parlaments, künftig zusammengesetzt sein wird. In 14 Kantonen kommt es zu einem zweiten Wahlgang. Gleichwohl steht bereits vor diesen Stichwahlen fest, dass auch im Ständerat die Grüne Partei mit Sicherheit zu den Wahlgewinnern gehören wird. Sie hat mit der Newcomerin Céline Vara in Neuenburg und mit Mathias Zopfi in Glarus bereits zwei Sitze erobert. Und in mindestens vier Kantonen (BE, BL, GE, VD) sind Grüne bei der Stichwahl in formidabler Ausgangslage. Die Wahl des Grünen Mathias Zopfi im traditionell konservativen Kanton Glarus sorgte übrigens für Aufsehen: Der Neuling eroberte seinen Sitz auf Kosten der etablierten SVP, die nun keinen Glarner Ständerat mehr stellt. (MUL) Frauenanteil im Nationalrat Verhältnis Männer : Frauen WD 11:8 FR 3:4 OW 0:1 NW 1:0 UR 1:0 GL 1:0 GE 6:6 VS 8:0 TI 6:2 NE 4:0 BE 11:13 LU 5:4 ZG 2:1 SZ 3:1 SG 7:5 JU 2:0 SO 5:1 AG 9:7 ZH 19:16 BS 2:3 Frauenanteil im Nationalrat BL 2:5 SH 1:1 TG 3:3 AR 1:0 AI 1:0 GR 2:3 Nur Männer Gleichviel Frauen und Männer Mehrheitlich Frauen Nur Frauen Mehrheitlich Männer 116:84 Mathias Zopfi Die Glarner Sensation: Der grüne Neuling Zopfi verdrängt Werner Hösli von der SVP aus dem Ständerat. Regula Rytz Die grüne Berner Nationalrätin steht für einen zweifachen Erfolg: jenen der Grünen und jenen der Frauen. Corrado Pardini Generationenwechsel links wie rechts, 30 Abgewählte: Auch Gewerkschafter Pardini (SP, BE) muss die Koffer packen.
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