Schweizer Revue 6/2019
Schweizer Revue / November 2019 / Nr.6 8 Schwerpunkt «Die Schweizer Demokratie gewinnt an Qualität» Im Nationalrat sind neu 42 Prozent Frauen vertreten, so viele wie noch nie. Dazu hat auch die über parteiliche Kampagne «Helvetia ruft» der Frauen verbände beigetragen. Projektleiterin Jessica Zuber erklärt, warum das Wahlergebnis für die Schweiz historisch ist. «Es war ganz klar eine Klima-Wahl» Neben den wissenschaftlichen Befunden lege nun auch der Wahlerfolg der Grünen nahe, dass die Schweiz ambitioniertere Klimaziele verfolgen sollte. Das sagt die Schweizer Klimaforscherin Sonia Seneviratne. Für das neu gewählte Parlament hat sie einen Lektüre-Tipp parat. «Die SP sollte zur europafreundlichen Haltung zurückkehren» In der blockierten Europapolitik brauche es jetzt eine neue Dynamik, sagt Thomas Cottier, Präsident der Vereinigung «Die Schweiz in Europa». Er sieht im Wahlresultat einen Wink an die Sozial demokraten (SP), ihre bremsende Haltung beim Rahmenabkommen mit der EU zu überdenken. Welche Folgen die Wahlen für die Eu- ropapolitik haben werden, ist kurz nach demUrnengang schwer zu beur- teilen. Denn bei der Frage, ob die Schweiz das seitMonaten vorliegende Rahmenabkommen mit der Europäi- schen Union (EU) unterzeichnen soll, gab es imWahlkampf wegen strittiger Punktewie demLohnschutz nicht bei allen Parteien klare Bekenntnisse. «Dabei drängt die Zeit», sagt Thomas Cottier. Er ist emeritierter Professor für Europa- und Wirtschaftsvölker- recht an der Universität Bern und Präsident der europafreundlichen Vereinigung «Die Schweiz in Europa». 200 Mitglieder zählt der Nationalrat, die grosse Parlamentskammer, neu sind 84 von ihnen Frauen. Damit steigt der Frauenanteil von 32 Prozent auf 42 Prozent. Im Ständerat, der klei- nen Kammer, wird er zwar viel gerin- ger sein. Und doch sagt Jessica Zuber: «Es ist eine historische Frauenwahl.» Die Politologin leitete die «Helvetia ruft»-Kampagne von Alliance F, dem Dachverband der Schweizer Frauen- organisationen. Sie erinnert daran, dass die Schweizer Frauen – erst seit 1971mit Stimm- undWahlrecht – ihre Dem Bundesrat und dem neu gewähl- ten Parlament rät er, «die Signale der Wählerschaft aufzunehmen». So wurdemit der nationalkonservativen SchweizerischenVolkspartei (SVP) die EU-kritischste Partei zurückgebun- den. Sie lehnt nicht nur das Rahmen- abkommen ab, sondernwill mit ihrer Begrenzungsinitiative die Personen- freizügigkeit aufgeben. «Doch die Blockadepolitik hat eine Absage er halten», so Cottier. Dafür sei mit den Grünliberalen die Partei erstarkt, die das Rahmenabkommen ohne Wenn und Aber befürworte: «Die Sitzge- winne der GLP können als Zustim- Die Bevölkerung habe erkannt, dass klimapolitisch dringend gehandelt werden müsse: So interpretiert Sonia Seneviratne den enormenZuwachs an Wähleranteilen und Parlamentssitzen für die grünen Parteien: «Es war ganz klar eine Klima-Wahl.» Seneviratne stammt aus dem Kanton Waadt und ist heute Professorin für Land-Klima Dynamik an der Eidgenössischen TechnischenHochschuleZürich (ETH). Sie ist auch eine Hauptautorin bei Pu- blikationen des Weltklimarats IPCC: In mehreren Berichten warnten die Vertretung im Parlament jahrzehnte- lang bloss in kleinen Schritten stei- gern konnten: «Es waren immer nur drei bis vier Prozentpunkte mehr.» Jetzt schicken die Wählerinnen und Wähler fast einenViertel mehr Frauen ins Bundeshaus, ein Rekordzuwachs, bei linken wie bei bürgerlichen Par- teien. «Die Schweizer Demokratie ge- winnt an Qualität, weil Frauen und Männer nun ausgeglichener vertreten sind», sagt Zuber. Der Erfolg hatte sich mindestens ein Stück weit abgezeich- net. Noch nie kandidierten so viele
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