Schweizer Revue 1/2020
Schweizer Revue / Januar 2020 / Nr.1 14 Gesellschaft Eine Liedzeile des Berner Mundart-Trou- badours Mani Matter (1936-1972), «S’sy zwee Fründen im ne Sportflugzüg en Alpeflug ga mache» («es unternahmen zwei Freunde in einem Sportflugzeug einen Alpenflug»), übersetzt von Dolmetscherin Tanja Joseph. Fotos Danielle Liniger der erschwerte Zugang zur Kommu- nikation. Dieses Problem zeigt sich nicht nur am Arbeitsplatz, sondern überall, wo gehörlose oder schwerhö- rigeMenschen imAlltagmit hörenden Menschen in Kontakt kommen: Bei- spielsweise im Gesundheits- und Schulwesen, auf Ämtern und auch im Bereich Kultur. «Wir leben heute in einer stark von Medien und Kommunikation gepräg- ten Gesellschaft. Doch obwohl das In- ternet vieles revolutioniert hat, fehlen in zahlreichen BereichenVideos inGe bärdensprache oder Videosmit Unter- titelungen in den drei Landesspra- chen», sagt Brigitte Schökle. Gebärdensprache soll offizielle Landessprache werden Es ist gut möglich, dass in den nächs- ten Jahren in der Schweiz die Vermitt- lungsweise besser und die Überset- zungshilfen präsenter werden. Mit drei parlamentarischenVorstössen ist der Bundesrat nämlich aufgefordert worden, die in der Schweiz gängigen Gebärdensprachen rechtlich zu aner- kennen (siehe Zusatztexte). Dieses po- litische Erwachen hat in der Gemein- schaft der Gehörlosen «viel Freude ausgelöst», sagt Brigitte Schökle. Eine rechtliche Anerkennung der Gebärdensprachen könnte zur Folge haben, dass Massnahmen festgelegt werden, die der Diskriminierung hörbehinderter Menschen entgegen- wirken. Zwar seien die rechtlichen Grundlagen gegen die Diskriminie- rung hörbehinderter Menschen be- reits «sehr vollständig und präzise», hält der Schweizerische Gehörlosen- bund (SGB) auf Anfrage fest. Sie wür- den aber zuwenig oft angewendet. Ge- hörlose Erwachsene sind laut dem SGB beispielsweise dreimal häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen als hö- rende Erwachsene. Rund 10000Menschen sind in der Schweiz seit der Geburt gehörlos oder sehr stark schwerhörig. Das entspricht rund 0,2 Prozent der Bevölkerung. Und rund eine Million Schweizerin- nen und Schweizer leben mit einer Hörbehinderung. Hände auf den Rücken! – Die Gebärdensprache war verboten Brigitte Schökle ist seit ihrem sechs- ten Lebensjahr gehörlos – aufgrund einer Hirnhautentzündung. «Im Ver- gleich zu damals hat sich bereits viel zumPositiven verändert», sagt sie, die von einemTag auf den anderen die da- malige Sprachheil- und Taubstum- menschule in St. Gallen besuchen musste: «Fürmichwar der Schulwech- sel ein Kulturschock.» Die Gebärdensprachewar damals an der Schule verboten. Die Schülerin- nen und Schüler mussten ihre zusam- mengebundenen Hände hinter den Rücken halten, damit sie sich nicht mit Gebärden verständigen konnten. Denn: In der Gehörlosenpädagogik herrschte damals Einigkeit darüber, dass Gehörlose die Lautsprache erler- nen müssten, um sich im Leben zu- rechtfinden zu können. Sie sollten sich also wie Hörende mit demMund und nicht mit den Händen ausdrücken. Geprägt hatte diese Annahme ein Kongress von Gehörlosenpädagogen aus allerWelt, der sogenannteMailän- der Kongress im Jahr 1880. Die Be- schlüsse dieses Kongresses hatten weitreichende Folgen für das soziale Leben der Gehörlosen – auch in der Schweiz und bis in die heutige Zeit. «Während der Ära der ‹Lautsprache-Pädagogik› haben wir stark gelitten», sagt Brigitte Schökle. Doch trotz Gebärdenverbot an der damaligen Sprachheil- und Taub- stummenschule: Die Schülerinnen und Schüler haben sich am Mittags- tisch und auf dem Pausenplatz doch inGebärdensprache unterhalten: «Das waren die einzigenOrte, an denen die Erzieherinnen und Erzieher nicht ein- gegriffen haben. So habe ich die Ge- Dialektale Vielfalt Die Schweiz ist eines der letzten Länder Euro- pas, in denen die Gebärdensprache noch nicht rechtlich anerkannt ist. Genf und Zürich er- wähnen die Gebärdensprache zwar in ihren kantonalen Verfassungen. Anstrengungen zur kantonalen Anerkennung laufen zudem in der Waadt, in Bern und im Tessin. Die Gebärden- sprache und die Kultur der Gehörlosen werden auch im Basler Gleichstellungsgesetz aufge- führt. Benutzt werden in der Schweiz die Deutsch- schweizer, die französische und die italienische Gebärdensprache. In der Deutschschweiz gibts zudem fünf regionale Gebärdensprachen- Dialekte (ZH, BE, BS, LU, SG). Zwei … … Freunde … … in einem Sport- …
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