Schweizer Revue 2/2020
Schweizer Revue / April 2020 / Nr.2 11 schaftsverbände warnen eindringlich vor der «Kündi- gungsinitiative». Aus ihrer Sicht würde eine Annahme den bilateralen Weg als Ganzes gefährden. Dies wegen der so- genannten «Guillotine-Klausel»: Sie sieht vor, dass alle sie- ben bilateralen Abkommen ihre Gültigkeit verlieren, wenn nur ein Abkommen nicht verlängert oder gekündigt wird. Laut Economiesuisse-DirektorinMonika Rühl hat der Brexit klar gezeigt, dass für die EU die Teilnahme am eu- ropäischen Binnenmarkt untrennbar mit der Personen- freizügigkeit verbunden sei. Ein offener Zugang zum eu- ropäischen Markt ist für die Schweizer Wirtschaft essenziell: 50 Prozente der Exporte gehen in den EU-Raum. Funkstille beim Rahmenabkommen Die Schweizmuss ihre Beziehung zur EU aber ohnehin neu regeln. Seit nunmehr fünfzehnMonaten liegt der Entwurf eines institutionellen Rahmenabkommens auf demTisch, das die bisherigen bilateralen Abkommen ablösen soll. Da- rin sindmehrere Punkte nachwie vor umstritten, nament- lich beim Lohnschutz, den staatlichen Beihilfen und bei der Unionsbürgerrichtlinie (siehe auch «Schweizer Revue» 5/2019). Seit dem letzten Sommer suchen Bund, Kantone und Sozialpartner hinter verschlossenen Türen nach Lö- sungsvorschlägen. Der Bundesrat will nun den Volksentscheid vom 17. Mai abwarten, bevor er sich zu den offenen Punkten des Rah- menabkommens äussert. Anfang Jahr traf sich die Landes- regierung in Davos am Weltwirtschaftsforum WEF mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und dem für die Schweiz zuständigen EU-Kommissar Johan- nes Hahn. Dieser habe Verständnis für das Abwarten ge- zeigt, sagte Bundesrat Ignazio Cassis (FDP) nach demTref- fen. Von Seiten der EU gebe es keine «Deadline» für den Abschluss der Gespräche, sagte Cassis. Trotzdem sei klar: «Nach dem 17. Mai müssen wir vorwärtsmachen.» Die Zeit drängt insbesondere für die Medizintech- nik-Branche. Sie könnte bereits Ende Mai den hürden- freien Zugang zumEU-Markt verlieren. Denn solange das Rahmenabkommen auf Eis liegt, will die EU das Abkom- men über die gegenseitige Anerkennung von Konformi- tätsbewertungen nicht aktualisieren. Was technisch tönt, verursacht imGeschäftsalltag handfeste Komplikationen und teurenMehraufwand. Weil die Schweiz nur nochwie ein Drittstaat behandelt wird, müssen dieMedtechfirmen ihre Produkte in der EU zertifizieren lassen. Der Wirt- schaftsverband Economiesuisse drängt den Bundesrat deshalb, das Rahmenabkommen möglichst rasch zu un- terzeichnen. Alle Abstimmungen vom 17. Mai im Überblick Volksinitiative «Für eine massvolle Zuwanderung»: Die Schweiz soll die Zuwanderung von Ausländerinnen und Ausländern wieder eigenständig regeln. Dies fordert die SVP mit ihrer Begrenzungsinitiative. Bei einem Ja müsste die Schweiz das bilaterale Abkommen mit der EU über die Personenfreizügigkeit aufkündigen. Die Wirt- schaftsverbände und alle übrigen Parteien warnen vor «schweren Konsequenzen» (siehe Text links). Revision des Jagdgesetzes: Der Schutz derWölfe und anderer Tierarten soll gelockert werden. Damit wird aus Sicht von Bundesrat und Parla- ment «massvolle» Regulierung des Tierbestandes ermög- licht. Wölfe sollen auch abgeschossenwerden dürfen, ohne dass sie Schaden angerichtet haben. Das geht den Natur- und Tierschutzverbänden zu weit. Sie bekämpfen die aus ihrer Sicht «missratene» Vorlage (siehe Artikel zum Wolf ab Seite 6). Änderung des Gesetzes über die direkte Bundessteuer: Der allgemeine Kinderabzug bei der Bundessteuer soll von 6500 auf 10000 Franken erhöht werden. Dagegen wehrt sich die SP: Aus ihrer Sicht profitieren ausschliesslich Gut- verdienende vom«Steuerbonus für reiche Eltern». Familien mit tieferemEinkommen bringe der Abzug nichts, da Nied- rigverdiener nebst den Kantons- und Gemeindesteuern kaum direkte Bundessteuer zahlen. Die Resultate des Urnengangs vom 9. Februar Nein zur Volksinitiative «Mehr bezahlbare Wohnungen»: Mit 57,1 Prozent Nein lehnte das Schweizer Stimmvolk die Initiative des Mieterinnen- und Mieterverbandes ab. Die- ser wollte den gemeinnützigen Wohnungsbau in der Schweiz stärken. Aus Sicht des Bundesrates und der bür- gerlichen Parteien genügt die geltendeWohnbauförderung. Hingegenwird ein Fonds aufgestockt, der gemeinnützigen Bauträgern zinsgünstige Darlehen gewährt. Mehr zum Thema: siehe «Revue» 6/2019. Ja zum Verbot der Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung: Mit 63,1 Prozent Ja nahm das Schweizer Stimmvolk eine Änderung des Strafgesetzes und des Militärstrafgesetzes an. Damit wirdnebst der rassistischen auchdie homophobe Hetze künftig strafbar. Die Gegner aus christlich-konser- vativen Kreisen befürchteten eine Einschränkung der Meinungsäusserungsfreiheit. Mehr zum Thema: siehe «Revue» 6/2019.
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