Schweizer Revue 2/2020

Schweizer Revue / April 2020 / Nr.2 12 Politik STEFAN BÜHLER In ihrem Garten ist Simonetta Som- maruga mit Vorliebe barfuss unter- wegs: Das haben die Journalisten der «Schweizer Illustrierten» erstaunt fest- gestellt, als die SP-Bundesrätin sie im Sommer 2012 bei ihr zu Hause in der Nähe von Bern empfing. Sommaruga erklärte ihre Gartenblumen, pflückte Salat und präsentierte ihre Sträucher und Obstbäume: Äpfel, Birnen, Kir- schen, Pflaumen, Weichseln, Cassis. Der Artikel war nicht eine Homestory, wie sie für die «Schweizer Illustrierte» typisch sind, sondern vielmehr die Gartengeschichte über eine naturver- bundeneMagistratin, die stolz darauf ist, dass in ihrem Pflanzplätz die Bie- nen den Ton angeben. Allerdings war Sommaruga da- mals Justizministerin. Ein Amt, das mit Gartenbau und der Liebe zur Natur denkbar wenig zu tun hat – so wenigwiemit Sommaruga selbst. Die ausgebildete Konzertpianistin, die gegen ihren Wunsch das Justizdepar- tement zugeteilt erhielt, hatte nach der Wahl in den Bundesrat 2010 zu- nächst wenig Anknüpfungspunkte zu ihrem neuen Arbeitsfeld. Immerhin: Mit der Lohngleichheit, dembesseren Schutz von Frauen vor Gewalt und der «Ehe für alle» konnte sie Themen vor- antreiben, die ihr auch persönlich wichtig sind. Führt man sich aber vor Augen, dass sie als linke Politikerin haupt- sächlich damit befasst war, etwa das Asylrecht zu verschärfen oder die Aus- schaffung straffälliger Ausländer zu organisieren, ist es nicht gewagt zu be- haupten: Das Justizdepartement war für Sommaruga weniger eine Her- zensangelegenheit denn eine Pflicht- übung. Acht Jahre musste sie hier aus- harren, so lange gab es für sie keine Gelegenheit für einen Departements- wechsel. Bis zum Rücktritt von CVP­ Bundesrätin Doris Leuthard, als auf den 1. Januar 2019 endlich das Depar- tement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) frei wurde. Diesmal konnten ihr die Kol- legen nicht mehr vor dem Glück ste- hen: Sommaruga griff zu. Zurück zu den politischen Wurzeln Es war eine Befreiung. Das war Som- maruga schon anzusehen, als sie nach der Zuteilung der Departemente vor die Medien trat: Sie strahlte, als wäre sie gerade frisch gewählt worden. Sie kehre nun zu ihren politischen Wur- zeln zurück, erklärte die neue UVEK­ Vorsteherin: Schon als Nationalrätin und später als Berner Ständerätin sei sie jeweils Mitglied der Umweltkom- mission gewesen und habe die ent- sprechenden Themen auch als Bun- desrätin stets eng verfolgt. Im UVEK würden dieWeichen gestellt, «die ent- scheidend sind für unsere Kinder und Grosskinder», erklärte sie. Sommaruga sprühte förmlich vor Tatendrang. Und so legte sie los: Bereits im ers- ten Jahr hat sie den Bundesrat davon überzeugt, dass die Schweiz bis im Jahr 2050 klimaneutral sein soll, die Kohlendioxid-Bilanz dereinst also null betragen soll. Sie gewann eine Mehrheit für eine Flugticket-Abgabe. Und sie setzte unter anderem durch, dass Bundesangestellte künftig auf Reisen ins nahe Ausland möglichst den Zug nehmen und nicht das Flug- zeug. Bei ihrem Start auf dem neuen Posten spielten Sommaruga freilich auch die Umstände in die Hände: Ende 2018, kurz bevor sie ins UVEK wechselte, lancierten Jugendliche auch in der Schweiz Schulstreiks für das Klima. Sie organisierten Kundge- bungen und demonstrierten mit der Schwedin Greta Thunberg amWorld Economic Forum (WEF) in Davos. Sommaruga ist in ihremGärtchen angekommen Simonetta Sommaruga, die neue Bundespräsidentin der Schweiz, wirkt seit ihrem Wechsel ins Umwelt-, Verkehrs- und Energie­ departement wie befreit. Die SP-Magistratin hat die Klima- und Umweltpolitik ganz oben auf ihre Prioritätenliste gesetzt. Bundesrat ohne Grüne Nach ihrem Erfolg an den Wahlen 2019 forderte die Grüne Partei umgehend einen Sitz in der siebenköpfigen Landesregierung, dem Bundesrat. Dieser ist nach einer Konsensformel zusammengesetzt, die auf die angemessene Einbindung der stärksten Parteien abzielt. Die Grünen monierten, besonders die FDP sei mit ihren zwei Sitzen arithmetisch betrachtet übervertreten. In der Tat spielen die Grünen mit ihrem Wähleranteil von 13,2 Prozent bei den Nationalratswahlen nun in der gleichen Liga wie die FDP (15,1 Prozent) und die CVP (11,4 Prozent). Die bürgerlichen Parteien konterten, ein einmaliges Ergebnis sei noch kein Grund für die Anpassung der «Zauber­ formel» (derzeit: SVP 2 Sitze, FDP 2 Sitze, SP 2 Sitze, CVP 1 Sitz). Die Bundesratswahl vom 11. Dezember 2019 wurde schliesslich zu einem primär als Misstrauensvotum gedachten rot-grünen Angriff auf den Sitz von FDP-Bundes­ rat Ignazio Cassis. Cassis wurde denn auch mit dem schlechtesten Ergebnis wiedergewählt. Die Resultate: Viola Amherd, CVP, 218 Stimmen; Alain Berset, SP, 214; Ueli Maurer, SVP, 213; Simonetta Sommaruga, Bundesprä- sidentin, SP, 192; Guy Parmelin, SVP, 191; Karin Keller-Suter, FDP, 169; Ignazio Cassis, FDP, 145. (MUL)

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