Schweizer Revue 2/2020

Schweizer Revue / April 2020 / Nr.2 Politik 14 «E-Voting und E-Banking sind nicht vergleichbar» Seit dem vergangenen Sommer ruht die elektronische Stimmabgabe in der Schweiz, was viele Ausland­ schweizerinnen und -schweizer enttäuscht. Bundeskanzler Walter Thurnherr über Stimmungsschwankungen, demokratische Prozesse und sein Motto: Sicherheit vor Tempo. INTERVIEW: MARC LETTAU, SUSANNE WENGER «Schweizer Revue»: Herr Thurnherr, wie halten Sie es persönlich: Verpassen Sie je einen Abstimmungstermin? Walter Thurnherr: Ich habe, soweit ichmich erinnere, noch keinen Termin verpasst und stimme jeweils brieflich ab, weil das schnell geht und sehr praktisch ist – wenn man nicht sehbehindert ist oder imAusland lebt. Wenn in der Schweiz die Wahlbeteiligung um einen Drittel einbräche: Wäre das für Sie ein Grund zur Besorgnis? Die Wahlbeteiligung liegt schon heute unter fünfzig Pro- zent. Das bedeutet, dass etwa ein Viertel der Bevölkerung über alles entscheidet. Ich finde schon das bedenklich. Aber genau dies, ein markanter Rückgang, ist bei den National­ ratswahlen 2019 passiert: Die Wahlbeteiligung der im Ausland lebenden Stimmberechtigten brach zum Teil stark ein. Nur kennenwir in diesemFall vermutlich die Ursache: Der elektronische Stimmkanal fehlte. Das könnte man wieder ändern. Schlimmer fände ich es, wenn nicht klar wäre, wa- rumdie Stimmberechtigten das Interesse anWahlen oder Abstimmungen verlieren. Wegen des derzeit fehlenden elektronischen Stimmkanals häufen sich in der Redaktion der «Schweizer Revue» die Zuschriften enttäuschter Auslandschweizerinnen und -schweizer. Verstehen Sie diese Reaktionen? Ja, klar. Vor allem von jenen, die vorher Zugang zum «Vote électronique» hatten und sich daran gewöhnt hatten. Ärgerlich ist es besonders für Personen, die nur kurz im Ausland leben und später in die Schweiz zurückkehren – weil sie von dem, was entschieden wird, direkt betroffen sein werden. Das E-Voting ruht derzeit in der Schweiz. Ist es nicht vielmehr klinisch tot? Ruhen heisst nicht klinisch tot. Aber auch nicht: Über­ morgen sindwir soweit. Es ist nochnicht klar, wie esweiter­ geht. Das hängt von verschiedenen Faktoren ab. E-Voting­ Gegner sammelnUnterschriften für eineVolksinitiative, die ein Moratorium fordert. Im Parlament sind verschiedene Vorstösse hängig. Auch wird sich zeigen, ob wir einen Be- treiber haben, der ein sicheres Systembereitstellt. Sind Sie denn optimistisch? Nun, ich bin Stimmungsschwankungen unterworfen. Noch vor vier Jahrenwurde imStänderat eineMotion nur knapp abgelehnt, die verlangte, dass der Bund die Kantone zwingt, bis zu den Wahlen 2019 E-Voting anzubieten. Wir sagten schon damals «Sicherheit vor Tempo» und erinnerten an die Autonomie der Kantone. Später, in der Vernehmlassung Walter Thurnherr zu seiner Gemütslage in Sachen E-Voting: «Nun, ich bin Stimmungsschwankungen unterworfen.» Fotos Danielle Liniger

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