Schweizer Revue 2/2020
15 Schweizer Revue / April 2020 / Nr.2 zu E-Voting, äusserten sich fast alle Kantone dafür, aber die Parteien grossmehrheitlich dagegen. Dann kam der Ver- such der Post, ein vollständig verifizierbares E-Voting System einzuführen. Er offenbarte mehrere schwere, zum Teil peinliche Fehler und bewog die Post, ihr System vor- erst zurückzuziehen. Und es hat ein genereller Sinneswan- del stattgefunden. Inwiefern? Noch vor fünfzehn Jahren hiess es, das Internet ist eine sehr gute Sache für die Demokratien und schlecht für die Diktaturen. Heute sieht man es eher umgekehrt. All die er- wähnten Punkte führten dazu, dassman heute sagt: Macht bloss keinenUnsinn. Aber ich bin sicher, wennwirmal zwei, drei Kantonemit einemvollständig verifizierbaren System hätten, dann würde man sich in den Nachbarkantonen so- fort fragen: Warum können die das und wir nicht? Vieles ist so entstanden in der Schweiz. Die Signale aus Bundesbern zum E-Voting sind widersprüchlich. Einerseits haben Sie als Bundeskanzler den Auftrag, bis Ende Jahr einen neuen E-Voting-Versuchsbetrieb zu konzipieren, gemeinsam mit den Kantonen. Andererseits wächst der Druck aus dem Parlament, E-Voting aufzugeben. Von welcher Marschrichtung sollen denn nun die Schweizerin in Sydney oder der Schweizer in Ouagadougou ausgehen? Wenn sie gut informiert sind, wissen die Schweizerin in Sydney und der Schweizer in Ouagadougou, wie es hierzu- lande läuft. Die politische Schweiz ist eine einzige Konsul- tationsmaschine und ein grosses «Chrüsimüsi»: Mal geht es einen Schritt vorwärts, dann zwei zurück. Die Dinge brau- chen Zeit. Vergessen wir nicht: Auch über die briefliche Stimmabgabe, 1994 schweizweit eingeführt, fing die Dis- kussion in den 30er-Jahren an. Der Kanton Tessin führte sie für kantonale Angelegenheiten sogar erst vor wenigen Jahren ein. Der Bundesrat verzichtete im letzten Sommer darauf, E-Voting flächendeckend einzuführen, und strebt stattdessen einen neuen Versuchsbetrieb an. Gepröbelt wird aber schon seit 2004, in mehreren Kantonen. BeimneuenVersuchsbetriebwolltenwir einen Schrittwei- tergehen als bisher und ein Systemmit vollständiger Veri- fizierbarkeit testen. Das ist eine Bedingung für den breite- ren Einsatz von E-Voting. Doch das entsprechende System der Schweizer Post wies Mängel auf. Im jetzt nochmals avi- siertenVersuchsbetrieb geht es darum, dass wir über diese Schwelle hinauskommen. Er entspricht unserer Politik, langsam, aber stetig vorwärtszumachen. E-Voting steht vor allem wegen Sicherheitsbedenken in der Kritik. Ist sicheres E-Voting je möglich? Hundertprozentige Sicherheit wird es nie geben. Jeder elek- tronische Prozess lässt sich hacken oder beschädigen. Wir bauen aber so hohe Hürden ein, dass ein Hacker unverhält- nismässig grossenAufwand betreibenmüsste und dass sein Versuch nicht unbemerkt bliebe. Das Ziel ist grösstmög liche Sicherheit, ähnlich wie bei Kernkraftwerken und Flugzeugen. Wer absolute Sicherheit verlangt, darf streng genommen auch nicht mehr in ein Flugzeug steigen. Viele Wählende in der Fünften Schweiz teilen die Sicherheitsbeden- ken nicht. Sie monieren, man traue ihnen E-Banking und elektroni- sche Behördenkontakte zu, da gälten die Risiken als vertretbar. Das ist nicht vergleichbar. E-Banking beinhaltet einzelne Kunden-Server-Verhältnisse, beim«Vote électronique» geht Thurnherr: «Ich verstehe den Frust jener, die mitbestimmen möchten, aber nicht können.»
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