Schweizer Revue 4/2020

Schweizer Revue / Juli 2020 / Nr.4 12 STÉPHANE HERZOG Draussen das Virus, drinnen die Sicherheit. So präsentierte sich die Zeit des Lockdowns, der am16. März begann und ab dem 11. Mai, als die Schulen wieder öffneten, stetig ge- lockert wurde. Von heute auf mor- gen sahen sich die Schweizerinnen und Schweizer gezwungen, sich neue Rituale zu schaffen. Plötzlich musste man sich ans Social Distancing halten, die Hände desinfizieren, eine Maske tragen, an Online-Sitzungen teilneh- men. «Es hat mich einenMonat gekos- Entgleister Konsum In der striktesten Phase des Lockdowns haben Schweizer Haushalte ihre Nahrungsmittelkäufe erhöht (+18,6 %). Gleiches gilt für Dienstleistungen aus dem Bereich Medien und Kommunikation (+71,2 %) und Ausgaben im Supermarkt (+36,7 %). Auf der anderen Seite halbierten die Schweizerinnen und Schweizer ihre Kleidungskäufe und senkten ihren Benzinverbrauch um 22 %. Die Ausgaben in Restaurants fielen um 53,8 %, Coiffeure mussten zusehen, wie ihre Kundenfrequenz einbrach (-80,8 %). Diese von der «Neuen Zürcher Zeitung» (NZZ) zitierten Zahlen stammen von Postfinance, welche die Käufe ihrer 2,7 Millionen Kundinnen und Kunden zwischen Mitte März und Mitte April analysiert hat. Der Online-Handel explodier- te. Im April gab die Post gegenüber der Tageszeitung «Le Temps» an, dass sie fast 850 000 Pakete pro Tag verarbeite, 40 % mehr als in derselben Vorjahresperiode. Digitec Galaxus, ein Unternehmen der Migros, gab eine annähernde Vervierfachung der Verkäufe von Fitnessgeräten und Gesellschaftsspielen und eine Verdoppelung bei den Erotikartikeln bekannt. (SH) Der Lockdown und seine tiefgreifende Wirkung auf die Menschen Die Schweiz erprobt ein neues Leben Plötzlich war das Zuhause der Mittelpunkt unseres Lebens. Rituale des Zusammenlebens und des Konsums wurden auf den Kopf gestellt. Eine der Einsichten: Der Lockdown wurde von den Schweizerinnen und Schweizern je nach sozialer Stellung äusserst unterschiedlich erlebt. Schwerpunkt Wann ist Krise? ... wenn alle Klopapier in unerklärbar grossen Mengen hamstern. ... wenn der grösste Bahnhof der Schweiz zu den üblichen Stoss- zeiten menschenleer bleibt (Zürich). ... wenn Klebebänder am Boden die zwischen- menschliche Distanz regulieren. Fotos Keystone tet, zuhause einen neuen Rhythmus zu finden», erzählt Marie Cénec, eine Pfarrerin aus Genf. «Die Gewohnhei- ten ruhen zu lassen und die Rituale zu verändern kostet Kraft», betont die Frau des Glaubens, die Mitglieder ih- rer Kirchgemeinde per WhatsApp be- treut und Gedichte, Gebete und Für- bitten mit Menschen geteilt hat, die angesichts der schlagartigenVerände- rungen bekümmert waren und litten. Privilegierte und Schiffbrüchige Die Anthropologin Fanny Parise, die am Institut lémanique de théologie pratique de l’Université de Lausanne forscht, erkannte während des Lock- downs vier ArchetypenvonMenschen. Sie stützt sich dabei auf eine Umfrage, die von 6000 Personen, je zur Hälfte in der Schweiz und in Frankreich

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