Schweizer Revue 4/2020
Schweizer Revue / Juli 2020 / Nr.4 16 THEODORA PETER Die spektakuläre Aussicht vom Jung- fraujoch auf die hochalpine Gletscher- welt ist atemberaubend – auch wegen der dünnen Luft auf fast 3500Metern über Meer. Die höchste Bahnstation Europas, von den Jungfraubahnen erfolgreich als «Top of Europe» ver- marktet, zog letztes Jahr über eine Million Besucherinnen und Besucher an, 70 Prozent von ihnen aus Asien. Dann kamMitte März der Lockdown und brachte den Tourismus für fast drei Monate zum Erliegen. «Erstmals seit demErstenWeltkrieg standen die Jungfraubahnen länger als für die Dauer eines Föhnsturms still», sagt Bahnchef Urs Kessler. Der 58-jährige Berner Oberländer, seit über 30 Jahren im Geschäft, hat schon viele Turbulenzen erlebt: «9/11, Sars, Schweinegrippe und die Finanz- krise 2008: Das war alles nichts im Vergleich zur Corona-Epidemie.» Kessler brach Ende Februar eine Wer- betour in Asien ab, um noch rechtzei- tig in die Schweiz zurückzukehren. Zwei Wochen später stand alles still. «2020 wird ein Seuchenjahr», bilan- ziert der Bahnchef schon jetzt. Ein Drittel weniger Umsatz Das Virus und seine Folgen trifft die gesamte Tourismusbranche schwer. Zwar bliebendieHotels inder Schweiz von der behördlich verordneten Schliessung verschont, doch ohne Ausflugsinfrastruktur und Gastrono- mie bricht die Wertschöpfungskette auseinander. «Es ist so dramatischwie kaum zuvor», sagt auch Martin Nyd egger, Chef von Schweiz Tourismus. Die Marketingorganisation erwartet Das Corona-Virus krempelt den Tourismus um «Macht Ferien in der Schweiz!» Noch im letzten Jahr boomte der Tourismus in der Schweiz. Der Begriff «Overtourism» machte die Runde. Doch diesen Sommer bleiben viele Hotelbetten leer. Die Branche hofft umso mehr auf einheimische Gäste. Doch sie können die verlorene Saison kaum retten. Schwerpunkt Was sich ins Lock- down-Bildgedächtnis einprägte: die praktisch komplett stillgelegte Swiss-Flotte; die völlig touristenfreie Touristen- metropole Luzern; die hochschnellenden Velo verkäufe in der Schweiz; und die Erinnerung an sehr sonnige Tage in «Balkonien». Fotos Keystone für das laufende Jahr für die Schwei- zer Tourismusbranche Umsatzein- bussen von bis zu 35 Prozent. Nicht alle Hotels und Ausflugsanbieter wer- den diese Krise überleben. Nydegger befürchtet, dass jeder vierte Betrieb Konkurs gehen könnte. Die Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF) rechnet ihrer- seits mit einem Einbruch der Logier- nächte um rund 30 Prozent. Beson- ders dramatisch ist das Wegbleiben der Reisenden aus fernen Ländern. Mehr als die Hälfte der 40 Millionen Übernachtungen waren letztes Jahr von ausländischen Gästen gebucht worden. Einheimische Feriengäste können diesen Wegfall nur zum Teil wettmachen, auch wenn die KOF-Ex- perten für Juli und August mit 10 bis 15 Prozent mehr Übernachtungen in- ländischer Touristinnen und Touris-
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