Schweizer Revue 4/2020
Schweizer Revue / Juli 2020 / Nr.4 21 Politik THEODORA PETER Das Corona-Virus hat auch die direkte Demokratie vor übergehend zumStillstand gebracht. Erstmals seit demJahr 1951, als die Maul- und Klauenseuche die Durchführung einer Volksabstimmung verunmöglichte, sagte der Bun- desrat einenUrnengang ab. Die Abstimmungsthemen vom 17. Mai wurden auf den Herbsttermin verschoben und mit zwei weiteren gewichtigenVorlagen zuVaterschaftsurlaub und Kampfjets ergänzt (siehe Seiten 22 und 23). Der nun stark befrachtete September-Urnengang sei «keinWunsch szenario» aber verkraftbar, sagte Bundeskanzler Walter Thurnherr. Tatsächlich hat das Stimmvolk in den letzten Jahren wiederholt über fünf oder sogar mehr Vorlagen ab- gestimmt. Für den grössten politischen Zündstoff sorgt die Ab- stimmung zur Begrenzungsinitiative der Schweizerischen Volkspartei (SVP). Eine Annahme hätte zur Folge, dass die Schweiz das bilaterale Abkommen über die Personen freizügigkeit mit der EU entweder neu verhandeln oder kündigen muss – mit dem Risiko, dass der bilaterale Weg Mammut-Abstimmungssonntag imHerbst Nach der Absage des eidgenössischen Urnengangs vom Mai entscheiden die Stimmberechtigten am 27. September nun gleich über fünf Vorlagen – darunter die Begrenzungsinitiative der SVP. Die Debatte zum Verhältnis der Schweiz mit der Europäischen Union (EU) wird nach dem Lockdown neu lanciert. Alle Abstimmungen vom 27. September im Überblick ■ ■ Begrenzungsinitiative: Die Schweiz soll die Zuwande- rung von Ausländerinnen und Ausländern wieder eigenständig regeln. Dies fordert die SVP mit ihrer Initiative «Für eine massvolle Zuwanderung». Deren Annahme hätte eine Kündigung des bilateralen Abkom- mens zur Personenfreizügigkeit mit der EU zur Folge. Die internationale Mobilität ist für viele Ausland- schweizerinnen und Auslandschweizer von grosser Bedeutung. Das Parlament der Fünften Schweiz, der Auslandschweizerrat (ASR), hat nach Redaktions- schluss dieser «Revue» eine Parole zur Begrenzungs- initiative gefasst. Wie sie lautet, ist auf www.revue.ch und www.aso.ch zu lesen. ■ ■ Jagdgesetz: Der Schutz der Wölfe und anderer Tierar- ten soll gelockert werden. Damit soll eine «massvolle» Regulierung des Tierbestandes ermöglicht werden. Die Vorlage geht Tier- und Naturschutzorganisationen viel zu weit. Mehr zum Thema: siehe Schwerpunkt thema der «Revue» 2/2020. ■ ■ Bundessteuer: Der allgemeine Kinderabzug bei der Bundessteuer soll von 6500 auf 10000 Franken erhöht werden. Dagegen ergriff die SP das Referendum: Aus ihrer Sicht profitieren bloss Gutverdienende von die- sem «Steuerbonus für reiche Eltern». ■ ■ Kampfjets: Der Bundesrat soll bis zu sechs Milliarden Franken für die Beschaffung neuer Kampfflugzeuge ausgeben dürfen. Dagegen wehren sich «Gruppe Schweiz ohne Armee» (GSoA), SP und Grüne. Nicht ab- gestimmt wird über den Flugzeugtyp. Mehr zum The- ma: Seite 22. ■ ■ Vaterschaftsurlaub: In den ersten sechs Monaten nach der Geburt des Kindes sollen Väter zwei Wochen be- zahlten Urlaub erhalten. Dieser indirekte Gegenvor- schlag zu einer inzwischen zurückgezogenen Volksin- itiative für vier Wochen Vaterschaftsurlaub wird von SVP-Vertretern und Jungfreisinnigen bekämpft. Mehr zum Thema: Seite 23. als Ganzes gefährdet wird. Deshalb warnen die Wirt- schaftsverbände und alle übrigen Parteien eindringlich vor der «Kündigungsinitiative» (siehe ausführlichen Bericht in der «Revue» 2/2020). Nach dem Lockdown werden die Karten im Abstim- mungskampf neu gemischt. Die prognostizierte Rezession wird europaweit zu einer steigenden Arbeitslosigkeit und sinkenden Staatseinnahmen führen. Laut Beobachtern wird entscheidend sein, wie die Auswirkungen der Corona Krise beurteilt werden. Werden nach den vorübergehen- den Grenzschliessungen nationale Reflexe verstärkt oder die Partnerschaftmit der EUhöher gewichtet? Bisher hatten sich die Schweizerinnen und Schweizer jeweils hinter den bilateralen Weg gestellt. Wie der Ausnahmezustand der letzten Monate das Meinungsklima beeinflusst, ist offen. Bis zum Redaktionsschluss lagen noch keine Abstim mungsumfragen vor. Klar ist: Der Urnengang wird für die Schweiz zum folgenschweren Grundsatzentscheid zum künftigen Verhältnis zu Europa.
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