Schweizer Revue 4/2020

Schweizer Revue / Juli 2020 / Nr.4 24 Dass die Schweizer Bevölkerung nun zum ersten Mal direkt über einen ge­ setzlich geregelten, zehntägigenVater­ schaftsurlaub abstimmen kann, ist auf eine 2017 eingereichte Volksinitiative zurückzuführen, die einen vierwöchi­ gen Vaterschaftsurlaub forderte. Der Verein «Vaterschaftsurlaub jetzt!» zog seine Initiative vor einem Jahr aller­ dings zugunsten eines Gegenvor­ schlags des Parlaments zurück: Dieses schlug als Kompromiss zehn Tage Ur­ laub vor. Doch dieser Kompromissvor­ schlag geht einigen noch immer zu weit. Ein überparteiliches Komitee, das sich «gegen immermehr staatliche Abgaben» wehrt, sammelte Unter­ schriften für ein Referendum – und erzwang so die nun anstehende Ab­ stimmung. Kritiker: Väter sollen sich «18 Jahre lang Zeit nehmen» Dass das Väterbild in der Schweiz im Wandel ist, das stellt man bei denGeg­ nerinnen und Gegnern der Vorlage nicht in Frage. «Viele junge Frauen sind heute sehr gut ausgebildet und möchten auch nach einer Geburt wei­ terarbeiten», sagt SVP-Nationalrätin Diana Gutjahr, die selber Unterneh­ merin ist und das Referendumskomi­ tee zusammen mit weiteren bürgerli­ chen Politikerinnen und Politikern anführt. Das Komitee stört sich laut Gutjahr denn auch gar nicht daran, dass viele Väter heute in der Familie eine aktive Rolle einnehmen wollen. Aber: «Mit dem staatlich bezahlten Vaterschaftsurlaub von zehn Tagen wird einMann nicht zu einemumsor­ genden Vater. Der Vater muss eigen­ verantwortlich bereit sein, sich min­ destens 18 Jahre lang Zeit zu nehmen und für seine Kinder da zu sein.» Dem Referendumskomitee miss­ fallen zudem zwei weitere Punkte: Die Finanzierung der zwei Wochen Urlaub, welche analog zum Mutter­ schaftsurlaub über die Erwerbser­ Politik der Geburt eine wichtige Rolle zu­ kommt. Als Folge bieten immer mehr Unternehmen einen Vaterschaftsur­ laub an, um für junge Fachkräfte at­ traktiv zu bleiben. Die Pharmafirma Novartis etwa ist bezüglich Vater­ schaftsurlaub die Schweizer Spitzen­ reiterin und gewährt den bei ihr arbei­ tenden Vätern 90 Tage Urlaub nach der Geburt eines Kindes. 15 Tage ge­ währen Firmen wie Migros, Coop oder Swisscom. Allerdings: EinVaterschaftsurlaub als solches ist bis heute in der Schweiz nicht gesetzlich geregelt. Nur der 14-wöchige Mutterschaftsurlaub ist imGesetz verankert. Väter können bei der Geburt ihrer Kinder noch immer nur einen einzigen Freitag geltend machen. Ob sie ihren Angestellten da­ rüber hinaus einen weitergehenden Vaterschaftsurlaub gewähren oder nicht, ist denArbeitgebern freigestellt. Doch das könnte sich bald ändern: Alle Väter sollen das Recht bekommen, in den ersten sechs Monaten nach der Geburt ihres Kindes zehn Tage Urlaub zu beziehen, entweder am Stück oder tageweise. Zumindest sieht das die Abstimmungsvorlage vor, überwelche am27. September 2020 in der Schweiz abgestimmt wird. Über 30 erfolglose Anläufe Über einenVaterschaftsurlaubwird in der Schweiz schon seit Jahren disku­ tiert. Seit 2003 wurden auf Bundes­ ebene über 30 parlamentarische Vor­ stösse eingereicht, die einen Vater­ schaftsurlaub fordertenoder gar einen Elternurlaub, der aufMutter undVater aufgeteilt würde. Allerdings: Das Par­ lament entschied sich stets dagegen. Das schlagkräftigste Argument waren stets die Kosten. Gemäss den Berech­ nungen des Bundes würden sich die Kosten für den nun vorliegenden Vor­ schlag zum Vaterschaftsurlaub auf 230 Millionen Franken pro Jahr be­ laufen. satzordnung erfolgen soll, sowie die Einmischung des Staats in den libera­ lenArbeitsmarkt. «Die Sozialversiche­ rungen sind bereits heute verschuldet und sollten nicht weiter belastet wer­ den. Sozialwerke sind dazu da, um finanzielle Nöte abzufedern, und nicht, um alle Luxuswünsche zu erfüllen», sagt Diana Gutjahr. Man nehme so den Firmen auch die Mög­ lichkeit, den Vaterschaftsurlaub indi­ viduell zu regeln und sich so einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Befürworter: Es braucht in jedem Fall «präsente Väter» Doch gerade an den individuellen Re­ gelungen stören sich die Befürworter der Vorlage: «Für einen gelungenen Start ins Familienleben braucht es präsente Väter. Ein solcher Start soll deshalb allenVäternmöglich sein und nicht nur jenen, die sich einen unbe­ zahlten Urlaub leisten können oder bei einer Firma arbeiten, die bereits einen längeren Vaterschaftsurlaub anbietet», sagt Adrian Wüthrich, SP-Politiker und Präsident von Travail Suisse, dem Dachverband der Arbeit­ nehmenden. «Die Schweiz ist zudem europaweit das einzige Land, das kei­ nen gesetzlich verankerten Vater­ schafts- oder Elternurlaub kennt», sagt Wüthrich: «Väter spielenheute punkto Betreuung jedoch längstens eine zen­ trale Rolle.» Abstimmung hin oder her: Für Vater Hauke Krenz war die Entschei­ dung richtig, bei der Geburt seiner Kinder für längere Zeit zuhause zu bleiben. «So entsteht aus meiner Sicht eine natürlichere und engere Bindung zum Kind», ist er überzeugt. Diese Bindung hat er sogar noch intensi­ viert: Mittlerweile kümmert er sich vollzeitlich um seine Kinder und hat seinen Beruf vorübergehend aufgege­ ben. Denn: «In zehn Jahrenmöchte ich nicht denken müssen, dass ich diese Zeit verpasst habe.» Gewerkschafter Adrian Wüthrich: «Väter spielen heute punkto Betreuung längstens eine zentrale Rolle.» Foto parlament.ch Wirtschaftsvertre­ terin Diana Gutjahr: «Ein staatlich be­ zahlter Vaterschafts­ urlaub macht einen Mann nicht zu einem umsorgenden Vater.» Foto parlament.ch

RkJQdWJsaXNoZXIy MjYwNzMx