Schweizer Revue 4/2020
Schweizer Revue / Juli 2020 / Nr.4 3 Ein Viehmarkt in der ländlichen Schweiz: Ein Bauer bietet sauber gestriegelte Kälber und Ziegen zum Verkauf an. Ein Käufer taucht auf. Bauer und Käufer werden sich handelseinig. Nun folgt ein kräftiger Handschlag. Damit gilt der vereinbarte Preis. Der Handschlag ist auch Vertrag, Unterschrift, Siegel. Eine Schulklasse in einemstädtischenVorort: Die Schulglocke klingelt, die Lehrerin gibt den Mädchen und Buben ihrer Klasse zur Begrüssung die Hand. Per Handschlag zollen die Schüler ihrer Lehrerin Respekt. Vereinzelt wurden Schüler, die dieses Zei- chen des Respekts verweigerten, gar auf juristischemWeg zumHandschlag gezwungen (was vermutlich weder klug noch respektfördernd ist). Eine grobe Rempelei beim «Freundschaftsspiel» zwischen dem Fussball- klub Unterdörflingen und dem FC Hinterwald! Der Schiedsrichter verlangt von zwei Raufbolden, Frieden zumachen. DieHitzköpfe reichen sichdieHand. Sie tun damit, was auf dem Kontinent seit über 2000 Jahren gilt: Den Frie- densschluss per Handschlag beschrieb schon der römische Dichter Ovid. Sich die Hand reichen: Im schweizerischen Alltag ist das ein kleines, alltägliches kulturelles Element, das zum gegenseitigen Vertrauen beiträgt, – vom Handschlag nach dem Streit bis zum zögerlichen, amourösen Händ- chenhalten der Frischverliebten. Wer hier den Kopf schüttelt, hat natürlich recht: Ein Plädoyer für den Handschlag fällt völlig aus der Zeit. Niemand streckt Ihnen heute in der Schweiz noch die offene Hand entgegen. In Schulen ist der Handschlag nicht mehr Gebot, sondern schlicht untersagt. Ebennoch Symbol des Respekts, gilt er jetzt als unhygienischer Übergriff. Der kleine Exkurs über die alltägliche Geste soll bloss andeuten, dass die Corona-Pandemie nebst Leben, Perspek- tiven und Hoffnungen auch die Geborgenheit im Vertrauten zerstört. Selbst Symbole und Gesten des Alltags werden in ihr Gegenteil umgepolt. Welches die ganz grossen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ver- werfungen sind, die die Schweiz als Folge der Pandemie zu verkraften hat, umreissenwir imSchwerpunkt dieses Heftes. Aberwir schauen auch auf den 27. September 2020. Nachdemdas politische Leben nun lange ruhte, wird die- ser Tag für die Schweiz zu einem «Supersonntag»: Die Schweizerinnen und Schweizer können an der Urne gleich in fünf Fragen wichtige Weichen stel- len. Entschieden wird etwa über das Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU. Die Debatte dazu wird mit Sicherheit sehr hitzig. Die verschiedenen Lager sind in dieser Frage weit davon entfernt, sich die Hand zu reichen. MARC LETTAU, CHEFREDAKTOR Editorial 4 Briefkasten 6 Corona-Schwerpunkt Fünf Fragen, die sich die Schweiz zur Corona-Pandemie stellt: Wie meisterte das Land nach dem ersten Schrecken die Krise? Welche Folgen hat das Erlebte für die Senioren und Seniorinnen? Wie dramatisch sind in der Schweiz die ökonomischen Folgen? Wie nutzen die Menschen ihre prägenden Lockdown-Erlebnisse? Was passiert diesen Sommer mit dem Ferienland Schweiz? 20 Literaturserie 21 Politik Am 27. September entscheidet das Volk übers Verhältnis zu Europa Umstrittenes Rüstungsgeschäft: Der Bundesrat will Kampfjets kaufen Der Vaterschaftsurlaub rückt nach Jahren des Debattierens näher 25 Gesellschaft Lichtblick für Fahrende: Richter annullieren diskriminierendes Gesetz 26 ASO-Informationen 27 news.admin.ch Die grösste Rückholaktion in der Geschichte der Schweiz 30 Gelesen / Gehört 31 Herausgepickt / Nachrichten Inhalt Ein fester Händedruck Titelbild: Permanentes Händewaschen als prägendes Post-Corona-Ritual. Foto iStock Herausgeberin der «Schweizer Revue», dem Informationsmagazin für die Fünfte Schweiz, ist die Auslandschweizer-Organisation (ASO).
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