Schweizer Revue 5/2020

Schweizer Revue / September 2020 / Nr.5 22 Gesellschaft heutigen Schweiz prägt. DieMehrzahl derjenigen, die sich öffentlich äussern, schildern Racial Profiling - Kontrollen und Verdächtigungen durch Polizei und Behörden auf- grund von Haut- und Haarfarbe - als Teil ihres Alltags. Ein UN-Bericht kritisiert die Schweiz dafür, dass sie zu wenig gegen Racial Profiling unternimmt. Der aus Malawi stammende Performancekünstler Mbene Mwambene, der in Bern lebt, sagt, dass der Rassis- mus, der ihm in der Schweiz begegne, im Unterschied zu den USA «versteckt stattfindet» und von gegensätzlichen Stereotypen geprägt sei. Er spüre einerseits die Erwartung, dass er als Afrikaner gut tanzen könne. Anderseits werde er regelmässig angehalten und auf Drogenbesitz abgesucht. Die schweizerischen Polizeibehörden verwahren sich gegen den Vorwurf, Racial Profiling zu betreiben. Ehe sie im Dienst eingesetzt werden, absolvieren Polizistinnen und Polizisten in der Schweiz eine zweijährige Grundaus- bildung, während der sie sich auch mit Wertefragen oder der Einhaltung vonMenschenrechten auseinandersetzen. Racial Profiling sei in der Polizeiausbildung ein ständiges Thema, bestätigt etwa der sozialdemokratische St.Galler Polizeivorsteher Fredy Fässler. Einen entscheidenden Beitrag dazu, dass die Rassis- mus-Debatte in der Schweiz an Dringlichkeit gewonnen hat, haben intellektuelle People of Colour geleistet, die in der Schweiz leben. Sie haben sich vernetzt und Persönlich- keiten hervorgebracht, denen es gelingt, die Realität des von ihnen erlebten Alltagsrassismus in die öffentliche De- batte einzubringen. PromovierteWissenschaftlerinnenwie etwa die afro-schweizerische Anthropologin Serena Dankwa werden regelmässig in Publikumsmedien inter- viewt. Ein zentraler Punkt ihrer Argumentation erhält wachsende Zustimmung: Sie fordert dazu auf, endlich den Zusammenhang zu anerkennen zwischen demauch in der Schweiz gängigen, kolonial-rassistischen Afrikabild von früher und den systematischen Ausgrenzungen von heute, von denen alle People of Colour betroffen seien. JÜRG STEINER IST JOURNALIST UND REDAKTOR BEI DER «BERNER ZEITUNG» David De Pury (1709–1786) Der wirtschaftliche Aufstieg des Neuenburgers David De Pury erfolgte vor allem in Por- tugal, wo er sich zuerst im Diamantenhandel mit Brasilien betätigte, bevor er sich in grösserem Stil am Sklavenhan- del beteiligte. Die von ihm mitgetragene Frachtgesell- schaft «Pernambuco e Paraiba» hat allein zwischen 1761 und 1786 mehr als 42 000 gefangene Afrikaner deportiert. 1762 wurde er an den Hof des Königs von Portugal berufen. De Pury vermachte sein riesiges Vermögen der Stadt Neuenburg. Sie setzte es für den Bau jener Gebäude ein, die bis heute das Stadtbild prägen. Louis Agassiz (1807–1873) Die Erforschung von Glet- schern und Fischfossilien standen am Anfang der Karriere des Freiburgers Jean Louis Rodolphe Agassiz. Nach seiner Übersiedlung (1846) in die USA wurde er an der Harvard University zum akademischen Star. In problematischer Erinnerung bleiben die rassentheoretischen Ansichten, die Louis Agassiz in den USA entwickelte und vertrat. Er wollte die Minderwertigkeit schwarzer Sklaven wissenschaftlich belegen und bezeichnete sie als «verderbte und entartete Rasse». Er wurde zum vehementen und einflussreichen Verfechter der Rassentrennung. Alfred Escher (1819–1882) Der Zürcher Wirtschaftsführer, Eisenbahnunternehmer, Gründer der Schweizerischen Kreditanstalt und Politiker Alfred Escher nahm wie kaum ein anderer Einfluss auf die Entwicklung der Schweiz im 19. Jahrhundert (das Bild zeigt ihn als Nationalratspräsi- denten im Jahr 1849). Schon zu Eschers Lebzeiten wurde seine Familie beschuldigt, Nutzniesser der Sklaverei zu sein. Klarer ist das Bild erst seit 2017 publizierten histori- schen Recherchen: Die Familie Escher war im Besitz einer kubanischen Kaffeeplantage, wo von Hunden bewachte Sklaven 14 Stunden pro Tag zu arbeiten hatten.

RkJQdWJsaXNoZXIy MjYwNzMx