Schweizer Revue 5/2020

Schweizer Revue / September 2020 / Nr.5 30 Sie sind eine Institution mit einer längst ein­ gespielten Rollenverteilung: Sobald es um ein neues Album geht, tüftelt Boris Blank in seinem Studio zuerst an neuen Sounds. Das kannMonate, manchmal sogar Jahre dauern. Sobald die Skizzen eine fixe Struktur haben, taucht Dieter Meier auf. Er schnappt sich das Material und reist damit ans andere Ende der Welt, um dort die Texte zu schreiben. Yello arbeiten also gestaffelt, nicht gemeinsam. Das ist seit einer gefühlten Ewigkeit so. Und eigentlich hat sich auch der künstlerische Output in den 42 Jahren ihres Bestehens kaum je verändert. Das neue Studioalbum «Point» ist ein Beleg­ dafür. Bereits die erste Nummer «Waba Duba» verdeutlicht es: Da ist wieder dieser typisch haspelige, nervöse Tribalbeat. Boris Blank liefert rhythmische Betonungen aus demSynthesizer, die entfernt an Baritonsaxophone erinnern. Auch das ein Markenzeichen des Duos. Und ab und zu erklingt aus demHintergrund ein einzelner Jauchzer. Alles erinnert sofort an die epochale Elektronummer «Bostich» aus dem Jahr 1981 oder denHit «The Race» von 1988. Nur der Sprechgesang von Dieter Meier ist für einmal nicht in unverkennbarer Weise ge­ haucht oder stoisch tief, sondern in ungewohnter Art verfremdet. Auf «Point» ist fast alles wie gehabt, auch wenn die Sounds aus demBlank'schen Computer eine dezente Anpassung an den Zeitgeist erfahren haben. Das Werk klingt gewohnt spielerisch und unauf­ geregt, bisweilen ulkig, aber kaum je albern, und stets auch etwas steril und akademisch – typisch Yello eben. Ist das nun Unbeirrbarkeit oder Selbstplagiat? Wirklich über­ rascht ist man über den beinahen Stillstand auf gewohnt hohem Niveau jedenfalls nicht. Und dass Yello auch anders können, be­ weisen sie immerhin mit der tanzbaren elektronischen Midtempo- Nummer «WayDown». Da erklingt tatsächlich so etwaswie ein echter Leadgesang, Yello sind als Urheber kaum erkennbar. Auch «Big Boy’s Blues» tanzt aus der Reihe. Der bleierne Brocken ist mit seinem stampfenden Schlagzeug und den kantigen Gitarren-Samples fast schon Rock ’n’ Roll. «Point» trumpft mit diesen Ausnahmen, die meisten der zwölf Songs erinnern aber an bereits Bekanntes. Das Duo rezykliert sich selbst und bewegt sich dabei über weite Strecken nicht mehr ganz am Puls der Zeit. Die treue Hörerschaft wird das kaum stören, allzu viele neue Fans dürften Yellomit diesemWerk nicht dazu gewinnen. MARKO LEHTINEN Die Antwort auf die Frage liefert die Ge­ schichte des Jungen Nando – erzählt aus dessen Sicht in Wort und Bild, in einer soge­ nannten Graphic Novel. Sein leiblicher Vater verlässt Nandos Mutter, als dieser noch klein ist. Er kümmert sich fortan nicht mehr um ihn und die zwei Schwestern. Die nun allein­ erziehende Mutter sorgt sich zwar liebevoll um ihre Kinder. Sie ist aber, auch weil es am Geld fehlt, bald überlastet und überfordert. Der quirlige Kiko betreut die Kinder öf­ ters. Er ist der Vater einer der Schwestern und setzt den Kindern mit seinen Ideen Flausen in den Kopf. Nando würde seine Mutter am liebsten heiraten, denn er spürt, dass ihr ein Partner fehlt. Weil das so nicht geht, macht er sich auf Männersuche. Der sanfte, riesengrosse Zelo scheint ihm der Richtige zu sein, denn er steht mit seinen breiten Schultern wie ein Fels in der Brandung. Irgendwann zeigt auch der leibliche Vater von Nando wieder Inter­ esse an seinem Sohn und nimmt ihnmit zuMuseumsbesuchen oder Spritztouren im Auto. Die drei Männer prägen schliesslich als Vater­ figuren seine Kindheit. Nando von Arb hat mit seinem Erstlingswerk gleich den mit 10000 Franken dotierten Schweizer Kinder- und Jugendbuchpreis 2020 gewonnen! Das Buch spricht nicht nur Kinder ab etwa zwölf Jah­ ren und Jugendliche, sondern auch Erwachsene an. In kantigen Schwarzweisszeichnungen, die durch bunte Bilder aufgelockert wer­ den, erzählt der Autor fantasievoll über seine Kindheit in der Patchworkfamilie. Die Figuren sind nicht realistisch, dafür charak­ terisierend mit präzisem Stift gezeichnet. Seine Mutter stellt er als grossen Vogel mit liebevoll blickenden Augen undweiten schutzspen­ denden Flügeln dar. Der Vater hingegen erhält die Gestalt des «schlauen» Fuchses. Die Figur des Knaben Nando, einem grossen Ei mit schwarzer Kappe ähnlich, schliesst man sofort ins Herz. Die Ver­ mischung zwischen Fantasie und Realität verleiht der manchmal melancholischen Geschichte eine wunderbare Heiterkeit. Es ist ein toller, in Bild und Wort ausdrucksstarker Comicroman. Weder vorwurfsvoll nochwertend, doch gefühlvoll wird erzählt, wie Nando seine Kindheit erlebt. Nando von Arb wurde 1992 in Zürich geboren. Nach einer Berufs­ lehre als Grafiker studierte er an der Hochschule Luzern und schloss 2018 seinen Bachelor in Illustration Fiction ab. Zurzeit absolviert er in Gent (NL) einen Master in Fine Arts. Auf Instagram ist von Arb unter @nandovonarb zu finden. RUTH VON GUNTEN Eine Institution setzt auf Bewährtes Drei Väter – wie kommt das? Gehört Gelesen YELLO: “Point”. Universal Music, 2020. NANDO VON ARB: «Drei Väter» Edition Moderne, Zürich 2019 304 Seiten; CHF 49.00, € ca. 39.00

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