Schweizer Revue 6/2020
Schweizer Revue / November 2020 / Nr.6 17 Nach der Geduldsprobe der Erfolg Dass immer mehr Haushalte in Schweizer Städten ohne eigenes Auto auskommen, hat auch mit dem Carsharing-Anbieter Mobility zu tun. Er setzt nun voll auf Strom. JÜRG STEINER Kundinnen und Kunden der Carsharing-Genossenschaft Mobility sind in Schweizer Städten stets nur einpaar Finger übungen vom Auto entfernt. Die Mobility-App zeigt das nächstgelegene freie Fahrzeug an, innert Sekunden kann man es buchen, mit demMitgliederbadge öffnen, losfahren und es bis zum Ablauf der Reservation zum Ausgangsort zurückbringen. Abgerechnet wird nach zurückgelegten Kilometern und Benutzungszeit. Dieses Geschäftsmodell hat Mobility zum Leader auf dem Schweizer Carsharing-Markt gemacht. Seit Jahren wachsen Kundenzahlen und Flottengrösse. «Wir sehen nicht, dass demWachstum von Mobility Grenzen gesetzt wären», sagt Patrick Eigenmann, Sprecher vonMobility. Die Carsharing-Idee erscheint im Smartphone-Zeitalter wie eine Selbstverständlichkeit. Allerdings brauchte sie Jahr- zehnte, ehe sie sich etablierte. Die Wurzeln reichen weit zurück ins 20. Jahrhundert, als noch niemand von Internet und Smartphones sprach. Dafür von Ökologie: 1987 gründete der spätere grüne Nid- waldner Politiker und Mobilitätsberater Conrad Wagner mit Kollegen in Stans die «Auto Teilet Genossenschaft» (ATG). Die ursprüngliche Flotte bestand aus einem roten Opel Kadett (mit Katalysator) und einem 125er-Motorrad der Marke Honda. Die jungen Innerschweizer Carsharing Pioniere wurden belächelt und hatten Mühe, einen Ver sicherer zu finden, der fürmehrere Halter desselben Autos eine Police auszustellen bereit war, wie sich Wagner kürz- lich in einemRadio-Interview erinnerte. Doch die ATG fasste Fuss. 1997 fusionierte sie mit dem Zürcher Konkurrenten ShareComzuMobility, undmit 760 Fahrzeugen sowie 17000 Mitgliedern begann die neuge- gründete Genossenschaft, den nationalen Markt zu bear- beiten. Heute bewirtschaftet Mobility an über 1500 Stand- orten gut 3000 zumeist knallrot lackierte Fahrzeuge für über 220000 Kundinnen und Kunden. Den Erfolg von Mobility verstehen kann nur, wer zen- trale Entwicklungsfaktoren der Schweiz berücksichtigt: das Wachstum der städtischen Agglomerationen im Mit- telland und der von der öffentlichenHand stark geförderte Ausbau des öffentlichen Verkehrs. «70 Prozent unserer Standorte befinden sich in Städten oder städtischen Agglo- merationen, und dieHälfte unserer Kundenwohnt in einer der acht grossen Städte», hält Mobility-Sprecher Patrick Eigenmann fest. Carsharing funktioniere besonders gut im Zusammenspiel mit dem öffentlichen Verkehr, und der ist in den Schweizer Städten zur Entlastung des Strassennet- zes hoch getaktet (siehe Text zur Verkehrssituation in Bern und Genf, Seite 15). Auf ihrem wirtschaftlichen Erfolgspfad entfernte sich die Sharing-Genossenschaft vom ursprünglichen grün alternativ angehauchten Image – mitunter gar etwas weit. 2019 führte sie eine Premiumklasse mit verbrauchsinten- siven Geländelimousinen ein, die selbst bei der eigenen Klientel Kritik hervorrief. Mobility stellte den Versuch raschwieder ein, weil die Autos kaumnachgefragt wurden. Und setzt jetzt auf die grüne Schiene: Bis 2030 will Mobi- lity seine Flotte, die bis jetzt vor allem aus benzin- und dieselbetriebenen Autos besteht, vollständig auf Elektro antrieb umstellen. Vor wenigen Monaten liess die Genossenschaft den eigenenNachhaltigkeitseffekt berechnen. Gäbe esMobility nicht, bilanziert die Studie, würden auf Schweizer Strassen zusätzliche 35500 Autos verkehren. So eindrücklich die Wirkung tönt: Angesichts des Bestands von 4,6 Millionen Personenfahrzeugen in der Schweiz bleibt sie vorerst ein Tropfen auf den heissen Stein. JÜRG STEINER IST JOURNALIST UND REDAKTOR BEI DER «BERNER ZEITUNG» Ein inzwischen vertrautes Bild in Schweizer Städten: die roten Autos der Carsharing- Genossenschaft «Mobility». Foto ZVG
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