Schweizer Revue 6/2020

Schweizer Revue / November 2020 / Nr.6 24 Wissen lichen an: «Je reicher die Geräusch­ kulisse, desto mehr verschiedene Tierguppen sind vorhanden; je inten­ siver die Geräusche, desto aktiver ist die Meso- und Mikrofauna.» Neue wissenschaftliche Disziplin Geräuschvielfalt und Geräuschinten­ sität: «Diese beiden Faktoren sagen etwas aus über das Vorhandensein und die Aktivität der Bodentiere», sagt Sabine Lerch. Bis Ende 2021 soll die Forschung zeigen, ob diese beiden Faktoren eine Messmethode sein könnten, um den Zustand eines Bo­ dens zu beurteilen.Wenn ja, wäre das ein Durchbruch für die neue wissen­ schaftliche Disziplin, die hier gerade an Profil gewinnt: die Ökoakustik. Einer ihrer prominentenWegbereiter ist der Schweizer Forscher Marcus Maeder. Ökoakustik könnte dereinst zum Werkzeug fürs Messen und Be­ urteilen von Biodiversität werden. Böden unter Druck Maeder ist ursprünglichMusikwissen­ schaftler und er sagt: «Der Acker mit biologisch angebautem Hafer klingt voller als der konventionelle Kartoffel­ acker.» Die Klangwelt unter Tag beur­ teilt er gleichwohl nicht nach primär künstlerischenKriterien: Das zentrale Thema ist die Gesundheit des Bodens. Der Zustand der Schweizer Böden sei vielerorts schlecht, sagt Sabine Lerch: «Unser Boden ist in vielfacher Hinsicht unter Druck. Er wird zugebaut, versie­ gelt und andererseits auch sehr inten­ siv genutzt und mit immer schwere­ ren Maschinen bearbeitet.» Zudem belaste der Eintrag chemischer Schad­ stoffe – zum Beispiel Pestizide und Düngemittel – ihn zusätzlich. Naturschutz bis zur Oberfläche Gleichzeitig stellt die Biologin fest: «In der Öffentlichkeit und in der Politik steht die Frage, was mit dem Boden passiert, kaum je im Mittelpunkt.» Viele sähen den Boden einfach als «Oberfläche». Selbst Naturschützerin­ nen und Naturschützer betrachteten mit Vorliebe die oberirdische Biodi­ versität, nicht die unterirdische: «Das ist auch verständlich.Wir sind auf das fokussiert, was wir sehen, was ganz unmittelbar unsereEmotionenweckt.» Dem Boden eine Stimme geben Nebst einem Forschungsprojekt ist «Sounding Soil» deshalb auch erklär­ termassen ein Versuch zur Sensibili­ sierung: «Wir wollen dem Boden eine Stimme geben», sagt Lerch. Denn was sich im Boden unter uns abspiele, be­ treffe schliesslich alle: «Ich denke da etwa an die Rolle des Bodens für den Wasserhaushalt oder die Nahrungs­ mittelproduktion.» Im besten Fall wird das Belauschen von Böden nicht nur wissenschaftliche Erkenntnis lie­ fern, sondern zu einer neuen Wahr­ nehmung des Bodens, auf dem und von dem wir leben, beitragen. Und im betrüblichsten Fall nehmen die von Marcus Maeder entwickelten Mikrofone einfach die Tonspur des Klimawandels und vom Verlust der Biodiversität auf. Wie tönt die Bio-Alpwiese?Wie klingt der intensiv bewirtschaftete Acker? Welche Geräusche dringen aus dem Waldboden? AusgewählteAufnahmen von Bodengeräuschen unter www.revue.ch «Sounding Soil» «Sounding Soil» ist ein interdisziplinäres Forschungsprojekt, in dem Bodengeräusche die Hauptrolle spielen. Stark verein­ facht gesagt untersucht das noch bis 2021 laufende Projekt, wie und warum unterschiedlich genutzte Böden unterschied­ lich tönen. Die bisherige Erkenntnis: Böden klingen umso komplexer, je grösser die Vielfalt an Lebewesen ist, die in ihnen leben. «Sounding Soil» ist ein Projekt, das die folgenden sieben Institutionen gemeinsam tragen: Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK), Biovision – Stiftung für ökologische Ent­ wicklung, Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL), Nationale Bodenbeobachtung (NABO), ETH Zürich (Institut für Terrestrische Ökosysteme) und das Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL). Vertiefende Informationen: www.soundingsoil.ch Aufnahmen von Bodengeräuschen: www.soundingsoil.ch/zuhoeren/

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