Schweizer Revue 6/2020
Schweizer Revue / November 2020 / Nr.6 25 Politik THEODORA PETER Wegen der Corona-Epidemie war die für die Schweiz ebenso typische wie prägende direkte Demokratie vor übergehend zum Stillstand gekommen. Der Bundesrat sagte den Urnengang vom 17. Mai ab und verschob ihn auf den Herbst. Der 27. September wurde schliesslich zum «Supersonntag» mit gleich fünf umstrittenen Vorlagen, die das Stimmvolk mobilisierten – darunter die Begrenzungs- initiative, das Jagdgesetz und die Beschaffung von Kampf- jets (Resultatüberblick siehe unten). Je nach Vorlage be teiligten sich 59,1 bis 59,4 Prozent der Stimmberechtigten ameidgenössischen Urnengang – dies entspricht der fünft höchsten Beteiligung seit Einführung des Frauenstimm- rechts im Jahr 1971. In jüngster Zeit vermochte einzig die Abstimmung vom Februar 2016 ähnlich viele Menschen (63 Prozent) zumUr- nengang zu bewegen. Damals ging es unter anderem um die SVP-Durchsetzungsinitiative. Noch stärkermobilisiert (70 Prozent) hatten 1974 James Schwarzenbachs Über fremdungsinitiative sowie 1989 die Armeeabschaffungs Initiative. Den einsamen Rekord punkto Stimmbeteiligung hält jedoch die EWR-Abstimmung von 1992: Damals nahmen gar 78,7 Prozent am Urnengang teil, bei dem der Beitritt zumEuropäischenWirtschaftsraummit 50,3 Prozent Nein knapp abgelehnt wurde. Dieser Volksentscheid markierte in der Schweiz den Beginn bilateraler Abkommen mit der EU. Dieser Weg wurde in der Folge vom Stimmvolk mehrfach bestätigt – zuletzt an besagtem «Supersonntag» vom 27. September mit dem klaren Nein zur Begrenzungs- initiative der SVP (mehr dazu im Schwerpunkt ab Seite 6). Kampfjets knapp am Absturz vorbei ZuDiskussionen führte die Stimmbeteiligung beimhauch- dünnen Ja (50,1 Prozent) zumKauf neuer Kampfjets für die Schweizer Armee. Lediglich 8670 Stimmen machten den Unterschied. Der knappe Entscheid provozierte die Frage, ob das Resultat anders ausgefallen wäre, wenn alle Aus- landschweizerinnen und -schweizer das Abstimmungsma- terial rechtzeitig erhalten hätten. Sie standen der Beschaf- fung neuer Kampfjets nämlich deutlich kritischer gegenüber als die in der Schweiz lebenden Stimmberech- tigten, wie eine Abstimmungsanalyse des Forschungsins- tituts GfS Bern zeigt. Demnach sagten 56 Prozent der Aus- landschweizerinnen und -schweizer Nein zur Vorlage. Alle Abstimmungsresultate vom 27. September im Überblick ■ ■ Nein zur «Begrenzungsinitiative»: Die Schweiz muss das bilaterale Abkommen zur Personenfreizügigkeit mit der EU nicht kündigen. Das Stimmvolk lehnte die SVP-Initiative «Für eine massvolle Zuwanderung» mit 61,7 Prozent Nein-Stimmen klar ab. Mehr zum Thema im Schwer- punkt ab Seite 6. ■ ■ Nein zum Jagdgesetz: Der Schutz der Wölfe und anderer geschützter Tierarten wird nicht gelockert. Die Revision des Jagdgesetzes, die eine Regulierung des Tierbestandes durch Abschüsse vorsah, wurde an der Urne mit 51,9 Prozent Nein verworfen. Das Referendum ergriffen hatten Tier- und Naturschutzorganisationen. ■ ■ Nein zur Erhöhung des Kinderabzugs: Bei der Bundessteuer wird der allgemeine Kinderabzug nicht erhöht. Das Volk lehnte die von der SP als «Steuerbonus für Reiche» bekämpfte Reform nämlich mit 63,2 Prozent Nein-Stimmen deutlich ab. Die Vorlage hätte jährliche Steuerausfälle von 380 Millionen Franken zur Folge gehabt. ■ ■ Ja zum Vaterschaftsurlaub: Nach der Geburt eines Kindes erhalten Väter künftig zwei Wochen bezahlten Urlaub. Dafür votierten eine klare Mehrheit von 60,3 Prozent und akzeptierte damit den Kompromissvor- schlag des Parlamentes zu einer zurückgezogenen Volksinitiative, die vier Wochen Vaterschaftsurlaub verlangt hatte. ■ ■ Ja zu Kampfjets: Der Bundesrat darf in den nächsten Jahren für sechs Milliarden Franken neue Kampfflugzeuge beschaffen. Das Stimmvolk gab dafür mit 50,1 Prozent Ja äusserst knapp grünes Licht. Abheben sollen die neuen Kampfjets zirka ab 2030. Der Flugzeugtyp ist noch offen und dürfte für weitere Diskussionen sorgen. Fulminantes Revival der direkten Demokratie Nach mehr als sieben Monaten Unterbruch strömten die Schweizer Stimmberechtigten am 27. September wieder zur Urne. Mit fast 60 Prozent lag die Stimmbeteiligung weit über dem Durchschnitt. Der Ersatz der heutigen Kampfjets der Schweizer Armee wurde an der Urne zur Zitterpartie: Foto Keystone
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