Schweizer Revue 6/2020
Schweizer Revue / November 2020 / Nr.6 38 Wer einen Konzertveranstalter um einen Auftritt bittet und sagt, er bilde ein Harfen Klavier-Duo, muss auf die Gegenfrage gefasst sein: «Und was machen Sie beruflich?» Nichts destotrotz haben eine Zuger Harfenistin und ihre Klavier spielende Tochter diesen Schritt vor zehn Jahren gewagt – und treten heute er folgreich als «Duo Praxedis» auf: Ende Septem ber etwa am «Érard-Festival Hamburg 2020» im grossen Saal der legendären Laeiszhalle. Beide heissen tatsächlich Praxedis: die Mutter Praxedis Hug-Rüti, die Tochter Praxe dis Geneviève Hug. Ausgebildet sind beide als Pianistinnen, die Harfe wurde bei der Mutter im Studium das Zweitinstrument. Und nach demdas Klavier nach der Heirat in den Hinter-, die eigene Tochter in denVordergrund gerückt war, ergab es sich nach einigen Jahren, dass sich die zwei für einen privaten Anlass als Harfen-Klavier-Duo zu sammentaten. «Wir wussten zuerst nichtmal, was wir spielen sollten, nahmen die Sonate für 2 Klaviere KV 448 von W. A. Mozart hervor und flickten sie mehr schlecht als recht für Harfe und Klavier zusam men», so Praxedis die Ältere. Alsbaldmerkten die zwei, dass es einen Schatz anOriginalwerken für Harfe undKlavier gibt. Heute beherrschen sie ein äusserst reiches Repertoire, das Bearbeitungen von berühmten Werken, zeitgenössi sche Musik, selbstgemachte Arrangements und besagte Original werke aus dem 19. Jahrhundert beinhaltet. In den letzten sieben Jah ren hat das Duo zwölf sehr unterschiedliche Aufnahmen auf den Markt gebracht. Praxedis die Jüngere sagt: «Ohne CD ist ein Künstler niemand. Mit jeder CD kann man wieder Werbung machen.» Privat und musikalisch harmonieren die zwei bestens, und doch betonen sie ihr Solistensein: «Wir sind zwei Einzelkämpferinnen, aber wir übernehmen imDuo-Konzert jeweils Verantwortung für den an deren.» Und das tun sie auch, wenn der andere mal leidet – oder tri umphiert: «Wennmeiner Mutter die Harfenkadenz toll gelingt, dann muss ich meine Kadenz noch schöner spielen, ummitzuhalten. Und wenn sie ihr in die Hosen geht, dann sowieso!» Erstaunlich ist es, dass bei aller Eigenständigkeit die zwei den Klang des eigenen Instrumentes dem Gegenüber anpassen können. Wer nicht genau hinhört, wird bisweilen gar nichtmerken, ob da eine Harfe oder ein Klavier erklingt – und wird die klangliche Verschmel zung zweier Instrumente und zweier Musikerinnen erleben. CHRISTIAN BERZINS «Er ist es, der klopft und mich weckt. Es ist noch nicht einmal halb sechs.» Der Alltag von Felice im abgelegenen Tessiner Dorf beginnt im Morgengrauen mit einem besonderen Ritual. Der Ich-Erzähler, ein jungerMann, der Stadt entflohen, darf den neunzigjährigen Felice dabei begleiten. Meist schweigend steigen sie täglich und bei jeder Witterung in die Berge hinauf, um in einem natürlichen Wasserbecken (italienisch «la pozza») zu baden. Der junge Mann berichtet vom Leben imDorf, doch vor allemprotokolliert er jeden gemeinsamen Moment mit Felice. Der Alltag des charismatischen Mannes, dessen Leben nicht einfach war, besteht aus handfesten, praktischen Verrichtungen wie Holzhacken, Kochen, den Nachbarn helfen. Der Tagesab lauf im Bergdorf, in dem vor allem alte Leute geblieben sind, verläuft immer gleich. Doch es geschehen unerwarteteDinge: Felice erhält einenmysteriösenBrief. Wie ein Lauffeuer verbreitet sich die Nachricht, bald wissen alle da von, aber keiner weiss, was im Brief steht. Felice scheint Besuch zu erwarten; er beginnt in seinemHaus ein Zimmer einzurichten. Der Autor Fabio Andina schreibt schnörkellos, doch klangvoll. Die Bergwelt schildert er als hart, aber nicht als feindselig. In man chen poetischen Wendungen ist die Verbundenheit des Autors mit dem Tessiner Tal spürbar. Andina beschreibt einen realen Ort, teils autobiografisch, teils fiktiv, wie er selbst in einem Interview sagte. Dorforiginale, Leute die nicht ins Schema des Leistungs- und Kon sumdenkens hineinpassen, gehören hier ganz selbstverständlich zur Gemeinschaft, in der man sich gegenseitig hilft. Doch auch Probleme wie der hohe Alkoholkonsum oder die Abwanderung bleiben nicht unerwähnt. Wunderbar die Figur von Felice (auf Deutsch «der Glückliche») – wie er Sorge zu sich selbst trägt und immer für die andern Dorfbe wohner da ist. Ein Buch mit entschleunigender Wirkung über einen Menschen, der mit sich im Reinen ist. Übersetzt wurde der Roman von Karin Diemerling, die geschickt einige Ausdrücke in der Origi nalsprache belassen hat und so das Ambiente bestens wiedergibt. Fabio Andina, 1972 in Lugano geboren, studierte in San Francisco Filmwissenschaften. Heute lebt der Autor wieder im Tessin. 2005 er schien sein erster Gedichtband und 2016 sein erster Roman. «Tagemit Felice» ist sein zweiter Roman und der erste, der ins Deutsche über tragen wurde. 2021 wird der Roman imVerlag Editions Zoé, Genf, in französischer Sprache erscheinen. RUTH VON GUNTEN Auf Forschungsreise durch die Staaten La pozza del Felice – Tage mit Felice Gehört Gelesen DUO PRAXEDIS: «Carl Rütti Works for Harp & Piano», Ars Produktion, 2019 «Grand Duet», «Ars Produktion», 2017 Dreaming, Idagio, 2010 FABIO ANDINA: «Tage mit Felice» Rotpunktverlag Zürich 2020 240 Seiten; CHF 28.00 «La pozza del Felice» Rubbettino Editore, Italien, 2018 209 Seiten; CHF 22.00
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