Schweizer Revue 6/2020
Schweizer Revue / November 2020 / Nr.6 6 THEODORA PETER Die wichtigste europapolitische Volks- abstimmungder letzten Jahre ging am 27. September mit einem eindeutigen Verdikt aus: 61,7 Prozent der Stimmen- den stellten sich gegen die Begren- zungsinitiative, mit der die SVP die Personenfreizügigkeit mit der Europä- ischen Union (EU) ausser Kraft setzen wollte. Das Nein war umgekehrt ein beherztes Ja zur Fortsetzungder Bezie- hung mit der EU: Die Mehrheit wollte den bilateralenWegmit demwichtigs- ten Handelspartner nicht gefährden. Denn bei einer Kündigung der Perso- nenfreizügigkeitmit der EUwärenauf- Schwerpunkt Für ihren neuen Präsidenten, den Tes- sinerNationalratMarcoChiesa, war es nur ein schwacher Trost, dass seinHei- matkanton als einziger Grenzkanton für die Initiative stimmte. Noch vor sechs Jahren hatten eine Mehrheit der Kantone und des Stimmvolks die SVP-Masseneinwanderungsinitiative angenommen, die eine Beschränkung der Zuwanderung verlangte. Das Par- lament tat sich aber schwer mit einer buchstabengetreuen Umsetzung, die dasAbkommenzur Personenfreizügig keit nicht verletzt. Gegen den Willen der SVP wurde in der Folge lediglich ein «Inländervorrang» für offene Stel- len eingeführt: In Branchen mit über- durchschnittlicher Arbeitslosigkeit sollen inländische Stellensuchende ge- genüber Bewerbern aus dem Ausland bevorzugt werden. Knackpunkt Souveränität Trotz verlorener Volksabstimmung rüstet sich die SVP bereits für den nächstenKampf gegendieEUund ihre «fremden Richter». Zielscheibe ist das institutionelle Rahmenabkommen, mit dem die Schweiz und EU ihre bila- teralenBeziehungenauf eineneueVer- tragsbasis stellen wollen. Ein Entwurf liegt bereits seit 2018 auf dem Tisch (siehe «Revue» 2/2019). ImWiderstand gegendenneuenRahmenvertrag steht die SVP allerdings nicht alleine da. Auchbei denmeistenanderenParteien – rechts wie links – stösst das Verhand- lungsergebnis auf Skepsis bis hin zur Ablehnung. Grösster Knackpunkt ist das Span- nungsfeld zwischen der Souveränität der Schweiz und der Rolle des Europä- ischen Gerichtshofs. Zwar sieht der Vertragsentwurf ein unabhängiges Schiedsgericht vor, das bei Streitigkei- tenzwischenBernundBrüssel schlich- ten soll. Sind jedoch Fragen des EU- Rechts betroffen, wasmeistens der Fall Ein Treue-Versprechen voller Fragezeichen Die Schweizerinnen und Schweizer bekennen sich zur Partnerschaft mit der Europäischen Union. Doch wie sich die bilaterale Liaison mit der EU weiterentwickeln soll, ist weniger klar. Vorbehalte zu einem neuen Rahmenabkommen stören die Harmonie. Dramatische Bilder wählten sowohl die Gegner wie die Befür worter der «Begrenzungs initiative». Zum Drama wurde die Abstimmung schliesslich für den neuen SVP-Präsidenten Marco Chiesa. Foto Keystone grund einer entsprechenden Klausel auch die übrigen bilateralen Verträge hinfällig geworden. Der überaus klare Volksentscheid ist eine schmerzliche Niederlage für die grösste Schweizer Partei – und dies ausgerechnet bei ihremKernthema.
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