Schweizer Revue 1/2021
Schweizer Revue / Februar 2021 / Nr.1 16 Gesellschaft Der Erfolg war immens. Die Zeitung, die später abonniert werden konnte, wird auch heute noch hunderttausendfach gelesen. Als 1984 das Dessert Tiramisu vorgestellt wurde, war der Mascarpone innert kürzester Zeit und überall in der Schweiz ausverkauft. Von denKoch- und Backbüchern, von denen 1973 das erste erschien, sind 35 Millionen verkauft worden. «Kuchen, Cakes und Torten» ist mit 1,35 Millionen Exemplaren das erfolg- reichste unter ihnen. Der Vergleich, um diesen Erfolg zu veranschauli- chen: Würde man alle verkauften Kochbücher nebeneinander legen, könntemanauf ihnenvonder Schweiz nach Amerika spazieren. Noch anschaulicher ist womöglich der Blick in die eigene Wohnung. Fällt einemnicht immer irgendwo eines ih- rer Kochbücher, eine Zeitung oder ein herausgerissenes Rezept in dieHände, wenn man eine Schublade aufräumt? Oder Teighölzer, Ausstechformen oder im schlimmsten Fall ein Waf- feleisen auf die Füsse, wenn man ei- nen Schrank öffnet? Denn auch darin hat sich Betty Bossi hervorgetan: Sie entwickelt und verkauft am Lauf- meter sogenannte Küchen- und Haus- haltshelfer. Kein Zweifel, die Schutz- patronin aller Singles, die Allzweck waffe gegen Langeweile in der Küche, die Hüterin des eiligen Grills oder wie sie sonst schon genannt wurde, ist quicklebendig. Das Unternehmen Betty Bossi, das bei neuen Trends wie TV-Kochshows, Online-Plattformen oder glutenfreie Nah- rungsmittel nie etwas anbrennen liess, gehört seit 2012 zu hundert Prozent Coop, einemder beiden Schweizer Detail- handelsriesen. Die Betty Bossi AG beschäftigt in Basel und Zürich 120 Mitarbeitende und erwirtschaftete 2019 einen Nettoerlös von 89Millionen Franken. Der Gang durch einen Coop-Supermarkt macht es klar: Die Marke ist mit über 600Produkten omnipräsent. Nebst denArtikeln imBereich Backen gibt es immer mehr Fertig- und Halbfertig-Pro- dukte wie Salate, Sandwiches und ganze Menus. Aber klingt nicht gerade das wie ein kolossaler Wider- spruch, wenn Betty Bossi den Schweizerinnen und Schwei- zern, denen sie jahrzehntelang das Kochen beibringen wollte, plötzlich Fertigprodukte auftischt?Wahrscheinlich geht es nicht anders und man muss Viviane Bühr, ihrer Pressesprecherin, Recht geben: Die Zeit ist heute eine komplett andere als vor 60 Jahren. DieMenschen bewegen sich weniger und wollen auch nicht mehr jeden Tag zwei Stunden in der Küche stehen. Sie spricht von globalen Ess- und Verhaltenstrends, welche die Schweizer Küchen be- einflussen – und im Übrigen auch dazu führten, dass die nahrhaftenweissenMehlsaucen verschwanden. Die Bettys und Bossis, so nennt Viviane Bühr die Mitarbeitenden, be- obachten diese Trends und reagieren darauf, indem sie neue Rezepte kreierenund Food-Produkte entwickeln.Wie für alle Unternehmen geht es darum, mit der Zeit zu gehen, sagt sie, «damit es uns inZukunftnoch gibt.» Bisher hat das gut geklappt. «Für unsere Grösse liegen wir richtig gut im Rennen», sagt sie, «Betty Bossi geht es prächtig.» Dass Betty Bossi mit der Zeit geht, verübelt ihr sicher nie- mand. Als Kunstfigur ist sie diesbezüglich dank ihrer Unsterblichkeit ohnehin imVorteil. Die Frage ist bloss, wie sie damit zurechtkommen und was sie in Zukunft an richten wird. Wie reagiert sie auf die Konkurrenz, die ihr zunehmend erwachsen ist? Als sie selber vor Jahrzehnten ins Influencer-Geschäft eingestiegen ist, gab es noch keine Foodblogs, das Kochbuchangebot war noch überschaubar. Werden ihr nochmals Rezepthits wie der getränkte Zit ronencake oder das Partyfilet gelingen? DÖLF BARBEN IST REDAKTOR BEI DER TAGESZEI TUNG «DER BUND» Betty Bossi in Zahlen In den Betty-Bossi-Küchen in Basel und Zürich werden jedes Jahr um die 2500 Rezepte kreiert. Die Zeitung erscheint zehnmal pro Jahr und hat eine Auflage von 540 000 Exemplaren. Sie ist damit die grösste Bezahlzeitung der Schweiz. Die Webseite wird pro Monat knapp 3 Millionen Mal besucht, seit Beginn der Corona-Pandemie wesentlich häufiger. Die Rezepte werden auch über die sozialen Kanäle verbreitet: Den täglichen Newsletter erhalten 520 000 Personen. (DB) Backen und servieren fürs appetitliche Bild: Foodstylistinnen und Food- fotografen sind die unabdingbaren Helfer der «Influencerin» Betty Bossi.
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