Schweizer Revue 1/2021

Schweizer Revue / Februar 2021 / Nr.1 30 Es ist nicht offiziell, aber die Lovebugs, eine der erfolgreichsten Schweizer Popbands der letzten 25 Jahre, sind gerade daran, sich ganz leise und jenseits der medialen Aufmerksam- keit aufzulösen. Zumindest liegt das Projekt auf Eis – auf einer überaus dicken Schicht. Und was macht der Frontmann, um die vielleicht nie mehr endende Pause zu über- brücken? Er nimmt ein Soloalbumauf. Bereits vor zwölf Jahren veröffentlichte Adrian Sieber ein erstes Werk unter eigenem Namen, jetzt hat der Sänger mit «You, Me & Everything Else» mitten in der Corona-Flaute nachgelegt. Dass er grosse Melodien schreiben kann, bewies Sieber bereits bei den Lovebugs. Die Refrains von «Bitter Moon» oder «Music Makes My World Go Round» gehören zumschweizerischen Popkanon. Auf demneuenAlbumsetzt der Basler nun wiederum auf sein typischmelancholisches, zugleich optimistisches Songwriting. Die Lieder bestechen durchRefrains, die haften bleiben, und durch eine Atmosphäre, die so euphorisch wie zerbrechlich ist, so unmittelbar wie vielschichtig. Die Arrangements bauen vor allem auf analoge Synthesizer und Schlagzeugmaschinen statt –wie bei den Lovebugs – auf Gitarren. Be- reits im Opener «The Soft Revolution» dominieren luftige, anachro- nistische Synthies, aufdatierte Computerbeats und natürlich eine ein- gängige Melodie – eine Ästhetik, die sich durch das gesamte Album zieht. Die 1980er-Jahre dringen durch jeden Ton, die Musik seiner Jugend in der Turnhallendisco im Fricktal, wie Adrian Sieber mit einemAugenzwinkern sagt. Den Traum des Profimusikers konnte Sieber während Jahren leben. Heute ist er Primarlehrer und Familienvater. Die Texte des mittlerweile 47-Jährigen handeln entsprechend vom Älterwerden, von Beziehungskrisen, der zwischenmenschlichen Chemie und dem Leben in einem realen Alltag. Die Zeilen sind stellenweise schwer­ mütig, aber Adrian Sieber wäre nicht er selbst, würde nicht in jedem Song auch eine grosse PortionHoffnung undGlück durchschimmern. Das Album gefällt. Nun wartet der Sänger auf das Ende der Pan- demie, umseinWerk auf die Bühne bringen zu können. Undwerweiss, vielleicht erwachen auch die Lovebugs noch aus ihremDornröschen- schlaf. MARKO LEHT INEN «Es würde ein ganz besonderer Tag werden. Vreni sah über den Nebel hinweg, der den Bauernhof seit Freitag einhüllte…». Bäuerin Vreni sollte, wie üblich bei einem Abstim­ mungssonntag, Sandwiches für die Stimmen- zähler vorbereiten. Doch dieses Jahr ist alles anders, denn sie muss nach Bern ins Frauen- spital fahren, um sich einer Unterleibsope­ ration zu unterziehen. In der Stadt erwartet sie ihre Tochter Margrit, die dort als Sekretä- rin arbeitet. Bevor aber Vreni ins Kranken- haus eintretenkann, muss sie ihre Tochter, die sichgegendie sexuellenÜbergriffe ihresChefs nicht zu wehren weiss, noch tatkräftig unter- stützen. Im Krankenhaus lernt Vreni die Verwaltungsangestellte Beatrice und die Putzfrau Esther kennen. Esther wurde als Kind ihren jeni- schen Elternweggenommen und ins Heimgesteckt. Später wird auch ihr das Kind weggenommen, das nun als Verdingbub auf dem Bau- ernhof vonVreni arbeitet. Die ledige Beatrice, aus bürgerlichemHause, geht in ihrer Arbeit imKrankenhaus auf und sie engagiert sich für das Frauenstimmrecht, über welches an diesem Sonntag im Jahre 1959 entschieden wird. Die Autorin Clare O’Dea widmet in ihrem Roman «Der Tag, an dem die Männer Nein sagten» jeder der vier so unterschiedlichen Frauen ein Kapitel. An diesem Tag 1959 kreuzen sich ihre Wege mit tiefgreifenden Folgen. Es ist für alle Schweizer Frauen ein wichtiger Tag, denn die SchweizerMänner stimmen zumersten, aber nicht zum letzten Mal über das Frauenstimmrecht ab. Der Tag wird aus der Sicht dieser vier Frauenfiguren aus verschiedenen sozialen Schichten erzählt. Geschickt verwebt die Autorin ihre Lebensgeschichten mit- einander und beleuchtet so die Situation der Frauen in der Schweiz Ende der Fünfzigerjahre. Clare O’Dea setzt dafür eine einfache, äusserst liebevolle Sprache ein. Es sind exemplarische Geschichten von Frauen, die ihr Leben selbst in die Hand nehmen wollen. Clare O’Dea wurde 1971 in Dublin geboren, wo sie Sprachwissen- schaften studierte und als Journalistin arbeitete. Seit 2003 lebt sie in der Schweiz, an der deutsch-französischen Sprachgrenze imKanton Freiburg, und arbeitet als Autorin, JournalistinundÜbersetzerin. 2016 erschien ihr vielbeachtetes Buch «Die wahre Schweiz». «Der Tag, an dem die Männer Nein sagten», ihr erster, kurzer Roman, erscheint gleichzeitig in der englischen Originalversion sowie in deutscher, französischer und italienischer Sprache. Ins Deutsche übertragen, und zwar ausgezeichnet, wurde das Werk von der Übersetzerin und Autorin Barbara Traber. RUTH VON GUNTEN Ein Leben nach den Lovebugs Abstimmungssonntag Gehört Gelesen ADRIAN SIEBER: «You, Me & Everything Else», Phonag, 2020 CL ARE O’DEA: «Der Tag, an dem die Männer Nein sagten» ISBN 978-2-9701445-1-9 119 Seiten, 20 CHF

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